Von der langen Mähne zur Glatze
Junge Frauen spenden Haare für kranke Kinder – Ravensburger Friseurin hilft dabei
RAVENSBURG - Bei Yekta Vardar können Männer und Frauen ihre Haare abschneiden lassen, um sie Kindern zu spenden, die wegen Krankheit oder Unfall ihre eigenen Haare verloren haben. Seit zwei Jahren ist die selbstständige Friseurin in Ravensburg Partnerin des Vereins „Haarfee. Echthaarperücken für bedürftige Kinder“, der seinen Sitz im österreichischen Wien hat. In diesem Jahr kamen bereits zehn Frauen zu ihr, um ihre Haare zu spenden. Darunter Henrike aus Schramberg (Landkreis Rottweil).
Ein kleiner Friseursalon mitten in Ravensburg. Eine junge Frau sitzt auf einem Friseurstuhl. Ihre Haare sind zu kleinen festen Zöpfen geflochten. Der Friseurstuhl steht so, dass die hochgewachsene schlanke Frau nicht direkt in den großen Spiegel schauen kann. Er hängt links von ihr. Routiniert schneidet die Friseurin mit einem Langhaarschneider ein Zöpfchen nach dem anderen ab. Mit unbewegter Miene schaut die junge Frau nach unten. Im Hintergrund läuft beruhigende Musik. Als das letzte Zöpfchen fällt, applaudieren die Zuschauer rundum: die Schwester der Spenderin und deren Freund sowie der Mann und die Söhne der Friseurin. Sie sind gekommen, um Henrike bei ihrer Aktion zu unterstützen. Nach dem Abschneiden aller Zöpfchen macht sich die 44-jährige Friseurmeisterin an den Feinschliff und rasiert behutsam über den nun kahlen Kopf der attraktiven jungen Frau. Kein Drei- oder VierMillimeter-Schnitt also. Nein. Eine echte Glatze.
Sie schaut in den Spiegel und lacht schallend los
Es ist geschafft: Alle Haare sind ab. Die junge Frau atmet tief durch, einmal, zweimal, dreimal – und dreht sich nach links dem Spiegel zu. Sie sieht sich selbst – kahl rasiert – und lacht schallend los. Noch vor wenigen Minuten hatte sie langes blondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Und jetzt eine Glatze.
„Mir war selbst mulmig zumute“, gesteht die Friseurmeisterin. Das war meine erste Glatze, die ich gemacht habe.“Vardar bezeichnet sich selbst als Friseurin aus Leidenschaft. „Ich liebe meinen Beruf “, sagt sie, „es ist der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Ich erlebe die emotionalsten Momente im Leben eines Menschen mit, ich begleite sie bis zum Tod.“Die Haartracht sei sehr wichtig für das Selbstwertgefühl eines Menschen, für sein Menschsein. Deshalb sei sie Partnerin der Haarfee geworden: „Einem kleinen Mädchen, dem wegen der Chemo die Haare ausgefallen sind, wieder schöne lange Haare zu geben – das ist für mich ein richtiger Glücksmoment.“
Sein Glück zu teilen, das war auch die Motivation von Henrike. In einem handgeschriebenen Brief schreibt sie: „Liebe Haarfee, ich bin ein sehr glücklicher Mensch und freue mich jeden Tag, dass es mir so gut geht. Ich habe einen guten Job, bin gesund, ich liebe meine Familie und sie liebt mich, bin im Alltag von netten und hilfsbereiten Menschen umgeben und habe meinen Mann für’s Leben gefunden. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben, an Menschen, denen es nicht so gut wie mir geht. Ich hoffe sehr, dass du meine Haare verwenden kannst und damit ein ‚langes‘ Stück Glück an andere weitergibst.“
Die jüngste Spenderin war zehn Jahre alt
Dieses „lange Stück Glück“, die Haare von Henrike, werden nun per Post nach Wien geschickt. Dort werden sie zu Echthaarperücken für Kinder verarbeitet, die ihre eigenen Haare infolge schwerer Verbrennungen oder einer Chemotherapie verloren haben.
Eine Voraussetzung, um seine Haare spenden zu können, ist eine Mindestlänge: 25 Zentimeter müssen sie lang sein, noch besser sind 40 Zentimeter oder mehr. Und sie müssen naturbelassen sein, nicht gefärbt oder blondiert.
Das Schneiden der Haare übernimmt die Ravensburger Friseurin ehrenamtlich, sie bekommt dafür kein Geld. Dass sich eine Spenderin für eine Glatze entscheide, sei ungewöhnlich, so Vardar. Man könne sich auch eine Kurzhaarfrisur schneiden lassen, kostenlos.
Bisher spendeten nur Frauen, überwiegend junge Frauen. Die jüngste Spenderin war zehn Jahre alt. Manche kamen aus der Nähe, beispielsweise aus Weingarten, andere von weiter weg, aus Tettnang, Aalen oder Schramberg. Über die Webseite der Haarfee fanden sie ihren Weg nach Ravensburg.
„Es wäre toll, wenn noch mehr Spender kommen. Und wenn sie keine Haare spenden können oder möchten, dann können sie Geld spenden“, wünscht sich Vardar.
Der Verein Haarfee ist im Netz zu finden unter www.vereinhaarfee.at. Mit Yekta Vardar kann man am besten über ihre Facebookseite Kontakt aufnehmen: www.facebook.com/vardar.yekta