Alles eine Frage der Zeit
Die Katastrophe in der Schweiz wirft die Frage auf, wie es am Hochvogel aussieht
HINTERHORNBACH - Er ist mit 2592 Metern Höhe zwar nicht einer der höchsten, aber wohl einer der markantesten Allgäuer Berggestalten: der Hochvogel. Wir sitzen vor dem Kaufbeurer Haus, hoch über Hinterhornbach. „Irgendwann muss doch mal was passieren“, sagt ein Wanderer. Er sitzt auf der Bierbank vor der kleinen Hütte und starrt durch sein Fernglas unentwegt auf den südlichen Gipfelaufbau des Hochvogels. Das klingt so, als wolle er einen Bergsturz geradezu heraufbeschwören. Nur von wenigen Orten ist der Blick so gut auf den Felskoloss, wie von hier.
Landesgeologisches Gutachten
Inzwischen ist es ziemlich genau drei Jahre her, dass der Bäumenheimer Weg von Süden auf den Hochvogel gesperrt wurde. Das sei eine reine Vorsichtsmaßnahe, hieß es damals. Ein Gutachten der Tiroler Landesgeologie brachte es an den Tag: Es bestehe die „Gefahr von Steinschlag, Blockstürzen und Absturz ganzer Felswandbereiche“. Die Geologen benutzen ihr eigenes Vokabular: Nachdem sie den Gipfelbereich überflogen hatten, hieß es, dass „der gesamte Gipfelstock des Hochvogels progressiv in Auflösung begriffen ist“. Zu Deutsch heißt das: Jederzeit könnten sich an der Südseite kubikmeterweise Fels und Gestein lösen und zu Tal donnern. Erst vergangenen Sommer hatte sich ein Bergsturz am Hochvogel ereignet, den Wanderer sogar zufällig filmten. Der ganz große Wurf war das aber noch nicht. Somit ist alles nur eine Frage der Zeit, bis es am Berg wieder richtig rumpelt. Ein Gutachten der Technischen Universität München war zu dem Schluss gekommen, dass sich am Berg immer neue Hohlräume bilden und sich vorhandene weiter öffnen. Kenner des Gipfelbereichs haben zudem beobachtet, dass sich ein Felsspalt immer weiter öffnet. Diesen Spalt gebe es schon seit mindestens 50 Jahren, berichten ältere Bergsteiger. Klar ist: Wer den Hochvogel-Gipfel über andere Wege erreicht, sollte diesen Bereich am Gipfel möglichst meiden.
Die Geologen glauben: Wächst der Riss, könnten grob geschätzt 10 000 Kubikmeter Felsmasse die Südwand hinunterdonnern und den Bäumenheimer Weg, einen leichten Klettersteig, unter sich begraben.
Anstieg bleibt möglicherweise zu
„Das Gestein ist vielfach brüchig“, heißt es schon in der älteren Führerliteratur über den Hochvogel. Dokumentierte Felsstürze am Hochvogel gibt es unter anderem aus den Jahren 1934, 1935, 2005, 2007 und zuletzt 2016. 109 Jahre lang war die Besteigung des Hochvogels über den Bäumenheimer Weg in Verantwortung der Alpenvereinssektion Donauwörth möglich. Doch derzeit ist nicht davon auszugehen, dass der Anstieg je wieder geöffnet wird. Er sei den Weg seit der Sperrrung schon öfter gegangen, schildert ein Bergsteiger. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er sagt: „Das Risiko, dass ich gerade unterwegs bin, wenn sich ein Felssturz ereignet, halte ich für sehr gering.“Vielleicht haben so auch die Alpinisten in der Schweiz gedacht, die wahrscheinlich von den Felsmassen erfasst wurden.
„Irgendwann muss doch mal was passieren“, brummelt der Wanderer vor dem Kaufbeurer Haus und schaut weiter durch sein Fernglas auf den Hochvogel.