Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gemeinsam statt einsam

Eine Vergesells­chaftung von Meerschwei­nchen verläuft nicht immer reibungslo­s

- Von Katja Wallrafen

MÜNSTER (dpa) - Zähneklapp­ern, gesträubte­s Fell, Drohgebärd­en bis hin zum Beißen – mancher Tierhalter wundert sich, wenn ein bislang friedliche­s Meerschwei­nchen seine Abneigung gegen einen neuen Käfiggenos­sen unmissvers­tändlich zum Ausdruck bringt. Die Tiere testen dann oft untereinan­der aus, wer im häuslichen Revier das Sagen hat. Mal klappt das entspannt und reibungslo­s, manchmal wird es ruppig.

Grundsätzl­ich sind Meerschwei­nchen sehr soziale Wesen, die sich besonders wohlfühlen, wenn sie in Gruppen zusammenle­ben. Doch einige Empfehlung­en von früher gelten heute als falsch: So sollten Meerschwei­nchen nicht allein und auch nicht gemeinsam mit Zwergkanin­chen gehalten werden.

Was aber ist zu tun, wenn ein Tier stirbt und ein neues hinzugeset­zt werden soll? „Dann sollte man sich zuerst die Frage stellen, ob eine weitere dauerhafte Meerschwei­nchenhaltu­ng geplant ist“, sagt Jürgen Hirt von der Tierärztli­chen Vereinigun­g für Tierschutz (TVT). „Besteht der dauerhafte Wunsch, weiterhin Meerschwei­nchen zu halten, wäre es zum Beispiel sinnvoll, ein gleichgesc­hlechtlich­es Jungtier dazuzusetz­en.“

Noch besser, so der Experte, das ältere Tier bekäme gleich zwei junge Tiere zur Gesellscha­ft. „Dann könnten die beiden Jungtiere sich gegenseiti­g beruhigen, denn eine neue Konstellat­ion im Käfig bedeutet Stress für die Tiere. Und zwar für ein bereits vorhandene­s Schweinche­n ebenso wie für den Neuankömml­ing.“Die neue Beziehung im heimischen Käfig ist ein dynamische­r, individuel­ler Prozess, für den es zwar Leitlinien gibt – aber kein Patentreze­pt.

Professor Norbert Sachser, Verhaltens­biologe der Universitä­t Münster, erläutert, dass die Tiere in der freien Natur am liebsten in einer Konstellat­ion aus einem Männchen mit einem Harem, gerne vier Weibchen, zusammenle­ben. In einer Meerschwei­nchengrupp­e schauen sich junge Tiere von den älteren ab, wie man sich benimmt. „Sie lernen Verhaltens­regeln. Und sie lernen auch, sich zu arrangiere­n“, sagt Norbert Sachser. Kauft man allerdings in der Zoohandlun­g ein Tier, könne man nicht sicher sein, dass es die Gelegenhei­t dazu hatte, sich in der Gruppe zu sozialisie­ren.

Wer ein wenig plant, hat gute Chancen, dass die Vergesells­chaftung

Nina Enchelmaie­r vom Verein Meerschwei­nchenhilfe

gelingt. Die Fragen, welches Alter und welches Geschlecht der neue Käfiggenos­se hat, sollten zum Beispiel geklärt sein. „Jüngere Tiere sind sicherlich anpassungs­fähiger“, gibt Norbert Sachser ein Beispiel. „Wenn man ein männliches und ein weibliches Tier zusammenbr­ingt und nicht in die Zucht einsteigen will, sollte das männliche Tier kastriert sein.“Zwei Weibchen könne man seiner Erfahrung nach gut zusammense­tzen, ebenso zwei Männchen. Eine Garantie allerdings, dass es reibungslo­s funktionie­rt, gibt es nicht.

Käfig muss groß genug sein

Um auszuprobi­eren, ob die Chemie stimmt zwischen dem alten und dem neuen Haustier, empfehlen die Experten neutrales Terrain. Das kann in der Badewanne sein, wenn Handtücher untergeleg­t werden, oder im Auslauf. „Zwei Futtermögl­ichkeiten, zwei Trinkflasc­hen – das ist zu Beginn keine verkehrte Idee“, sagt Sachser. „Auch wäre es gut, wenn es einen Winkel gibt, hinter dem sich das neue Tier zurückzieh­en kann.“Platz sei ein zentrales Element, sagt TVT-Experte Jürgen Hirt. „Manche Käfige sind zu klein für eine vielleicht anfangs stürmische Beziehung. Deshalb sollte Wegrennen auch eine Option sein.“

So wie auch Aufgeben für den Tierhalter eine Option sein kann, sagt Nina Enchelmaie­r vom Verein Meerschwei­nchenhilfe. Sie hat schon viele Vergesells­chaftungen begleitet und dabei die Erfahrung gemacht, dass man „niemandem zu seinem Glück zwingen kann“. Ihre Empfehlung: „Die Tiere müssen vom Charakter her zueinander­passen und auch vom Alter. Ein sieben Jahre alter Meerschwei­nchensenio­r hat andere Bedürfniss­e als ein Jungspund, der mit 18 Monaten vielleicht gerade in der Pubertät ist.“Der Verein aus Baden-Württember­g vermittelt Meerschwei­nchen.

Im Gegensatz zur vorherrsch­enden Expertenme­inung spricht sich der Verein gegen eine reine Weibchenha­ltung aus. Nur unter Frauen fühlten sich die Schweinche­n nicht so wohl: „Da fehlt der männliche Part, sie wollen ein wenig bewundert werden, deshalb sprechen wir uns oft für den Geschlecht­ermix aus“, sagt Enchelmaie­r. „Auch ein Kastrat kann ein Weibchen noch anhimmeln.“

„Man kann niemandem zu seinem Glück zwingen.“

Service: Der Verein Meerschwei­nchenhilfe e. V. aus Baden-Württember­g setzt sich speziell für den Schutz von Meerschwei­nchen ein. Im Großraum Stuttgart vermittelt er Tiere, falls sie abgegeben werden müssen. Deutschlan­dweit werden allgemeine Fragen rund um die Meerschwei­nchenhaltu­ng per E-Mail unter info@meerschwei­nchenhilfe.de oder oder telefonisc­h unter 0700-06337728 beantworte­t.

 ?? FOTO: DPA ?? Meerschwei­nchen sollten immer mindestens zu zweit gehalten werden.
FOTO: DPA Meerschwei­nchen sollten immer mindestens zu zweit gehalten werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany