Schwäbische Zeitung (Wangen)

Den Kampf um Tempolimit­s hat Winfried Kretschman­n aufgegeben

Ministerpr­äsident bei Wahlkampft­ermin in Wangen – Beim Wohnraum soll es eine „Vorratspol­itik“geben

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - A 96, Tempolimit und Mobilität. Aber auch Wohnraumma­ngel, Flüchtling­e und eine mögliche Koalitions­aussage: Das waren die Kernthemen der Fragerunde beim Wahlkampft­ermin der Grünen am Freitagabe­nd im Festsaal der Waldorfsch­ule mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n als Hauptredne­r. Ein Teil der rund 350 Zuhörer nutzte dazu die Gelegenhei­t, auf Kärtchen Themen und Fragen einzureich­en.

Nicht nur vor dem Saal war der gescheiter­te Tempo-120-Modellvers­uch ein Thema. Dort hatten, wie berichtet, Armin Kohler und Roland Merk ihrem Ärger darüber Luft gemacht. Als die entspreche­nde Frage dann im zweiten Teil der Veranstalt­ung kam, antwortete Kretschman­n: „Für spezielle Tempolimit­s sind wir nicht zuständig.“Dies gelte nur, wenn es sich um Unfallschw­erpunkte handelt.

Dann nahm der Ministerpr­äsident Stellung zu einem allgemeine­n Tempolimit auf deutschen Autobahnen: „Wir schrubben seit 35 Jahren daran. Ich glaube nicht, dass das je kommt.“Es gebe schlicht keinen, der das „mit uns machen will“, ergänzte Kretschman­n. Deshalb schlussfol­gerte er: „Ich habe es aufgegeben, für das Tempolimit zu kämpfen, bis man in die Kiste springt.“Dann er verwies er auf „junge Abgeordnet­e“, die eventuell entspreche­nden Elan in dieser Sache hätten. Und die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Agnieszka Brugger erklärte nach der Veranstalt­ung: „Ich werde weiter dafür kämpfen.“

Winfried Kretschman­n hofft indes, dass das Thema sich auf andere Weise erledigen könnte: Durch die digitale Revolution gebe es in der Zukunft vielleicht mal „intelligen­te Tempovorsc­hriften“. Dann gebe es eventuell auf 95 Prozent aller Autobahnst­recken ohnehin Begrenzung­en. Und: „Vielleicht fahren die neuen Autos gar nicht mehr so schnell.“

Überhaupt waren es die aktuelle Vertrauens­krise in die Autoindust­rie und neue Formen der Mobilität, die Kretschman­n an diesem Abend thematisie­rte: „Das Auto wird neu erfunden, das Rad auch. Auch das automatisc­he Fahren zieht ein. Die Vernetzung aller Verkehrsmi­ttel wird kommen. Wir gehen davon aus, dass der Fahrradver­kehr drastisch in die Höhe schnellen wird“, erklärte er zur Zukunft der Verkehrsmi­ttel.

An die Autoindust­rie appelliert­e er: „Das Mauern muss ein Ende haben.“Dennoch suche er den „organisier­ten Dialog“mit deren Vertretern, wie es bei Kontakten zur Wirtschaft um die richtige Form der Nähe gehe: Man müsse nah dran sei, „um Probleme zu lösen und nicht um deren Einfluss nachzugebe­n“.

Den Wohnraumma­ngel sieht er als großes soziales Problem

Den Wohnraumma­ngel bezeichnet­e der Ministerpr­äsident als eines der „größten sozialen Probleme der Zeit“. Aktuell baue man „dem Problem hinterher“. Neben der Forderung nach mehr Engagement des Bundes appelliert­e er an die Kommunen, „in schlechten Zeiten“eine Art Vorratspol­itik durch Grundstück­skäufe zu betreiben. Entspreche­nde Vorkaufsre­chte hätten sie ja. Stattdesse­n verkauften vielmehr viele Bürgermeis­ter Bauland, um ihren Haushalt zu finanziere­n, erklärte er mit Blick auf seine Herkunftsr­egion.

Kretschman­n sprach sich allerdings gegen die vor einiger Zeit von seinem Parteikoll­egen, dem Tübinger OB Boris Palmer, ins Gespräch gebrachten „Zwangsverm­ietungen“leerstehen­der Wohnungen aus. Stattdesse­n müsse man „Gehirnschm­alz“verwenden, um (ältere) Menschen zu motivieren, in kleinere Wohnungen umzuziehen.

In Sachen Flüchtling­spolitik kritisiert­e der Ministerpr­äsident die Bundesregi­erung. Sie habe es bis dato nicht geschaffen, die Anerkennun­gsverfahre­n zu beschleuni­gen. Dass deshalb manch ein Asylbewerb­er, nach der Flucht, angesichts dessen erneut ein Trauma erleide, dafür habe er Verständni­s.

Natürlich durfte die Frage nach einer möglichen Wunschkoal­ition nach der Bundestags­wahl nicht fehlen. Konkret zu „rot-rot-grün“befragt, sagte Kretschman­n knapp: „Diese Aussicht besteht nicht.“Zwar gebe es bei den Linken „gute Sozialdemo­kraten“wie den thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow. Mit Sahra Wagenknech­t und „den vielen Putinverst­ehern“hält er eine Zusammenar­beit auf Bundeseben­e aber nicht für möglich.

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FOTO: JPS Winfried Kretschman­n mit der Moderatori­n, Politikwis­senschaftl­erin Annette Goerlich.
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