Am Tag danach folgt die Kritik am Kuschelkurs
Martin Schulz: Fragen nach sozialer Gerechtigkeit wurden im TV-Duell zu wenig gestellt
BERLIN - „Was, Merkel liegt so deutlich vorne?“Als die ersten Blitzumfragen am späten Abend nach dem Duell in den Studios Adlershof die Runde machen, war die Überraschung im Studio B bei den Journalisten und Beratern groß. Denn als kurz nach dem Duell Angela Merkel und Martin Schulz in das Medienzentrum kamen, herrschte bei der Kanzlerin weit weniger gute Stimmung als bei Schulz. „Es wurde viel zu lange über die Flüchtlingspolitik geredet“, seufzten manche in ihrem Umfeld. Und selbst Michael Spreng, einst Stoiber-Berater, meinte, dass Schulz ein bis zwei Punkte gut gemacht haben könnte. Schulz dagegen wurde gefeiert wie der nächste Bundeskanzler. Strahlend startete er seinen Hallenrundgang, mit ebenso großem Tross wie die Amtsinhaberin. „Kanzlerformat“habe Schulz bewiesen, so SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. War denn die Innenschau im Medienzentrum anders als die des Fernsehzuschauers? Vielleicht waren die Zuschauer auch nur realistischer in ihren Erwartungen. 16,11 Millionen schauten das Duell in vier Sendern an, das waren lange nicht so viele, wie 2005 das Duell Merkel gegen Schröder (20,98 Millionen) verfolgt hatten. Martin Schulz gehört zwar ganz bewusst der Bundesregierung nicht an, um Angela Merkel im Wahlkampf besserstellen zu können. Und doch teilen viele den Eindruck von Talkmaster Günther Jauch: „Da reden zwei Politikprofis, bei denen man den Verdacht nicht los wird, dass die beiden in einer Regierung ziemlich reibungslos zusammenarbeiten könnten“, schreibt er in der „Bild“-Zeitung.
Unbarmherzig sind am nächsten Morgen die Kommentare aus den Oppositionsreihen. Linken-Chefin Katja Kipping stellt fest, dass Themen, die die Menschen wirklich umtreiben, nicht behandelt wurden. Drohende Altersarmut, Personalmangel bei der Pflege, Kinderarmut, Bildung. Das sieht auch Martin Schulz so. Vor großer Kulisse am Gillamoos erinnert er deshalb an sein Schlusswort im Kanzlerduell: Dass eine Krankenschwester in 60 Sekunden nur 40 Cent verdiene, Manager das 30-fache. Er fordert mehr Gerechtigkeit. „Deutschland ist ein reiches Land, aber es sind nicht alle Menschen in diesem Land reich“, betont Schulz und beklagt massive Einkommensunterschiede in der Republik. „Das spaltet das Land.“In diesem Duell seien so viele Fragen gar nicht gestellt wurden, Fragen zur Bildung, zur Rente, zu Zukunftsinvestitionen. Die Themenwahl, darauf weist Regierungssprecher Steffen Seibert hin, habe aber bei den Sendern und den Moderatoren gelegen.
Hat Schulz denn nun seine letzte große Chance im Wahlkampf genutzt? Die SPD meint: ja. Die Forschungsgruppe Wahlen hatte für das ZDF die Reaktionen noch genau beleuchtet. Vom SPD-Kanzlerkandidaten hatten nach dem Duell 44 Prozent einen besseren und sieben einen schlechterer Eindruck. Von Merkel haben nur 11 Prozent eine bessere Meinung, 81 Prozent waren unverändert. Man kennt sie.