Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Selbstzwei­fler

Auf „Lang lebe der Tod“ist Casper selbstkrit­isch, wütend und politisch wie nie

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Casper muss ganz schön verzweifel­t sein. Der 34-Jährige ist einer der erfolgreic­hsten Deutschrap­per, Publikumsl­iebling bei den Festivals, Posterboy für das Feuilleton, Kompromiss­künstler selbst für Rockhörer. Und doch macht ihn das, was für andere nach einem Traum klingt, nicht glücklich.

Sein aktuelles Album „Lang lebe der Tod“zeugt davon. Auf der neusten LP macht Benjamin Griffey, wie der Deutschame­rikaner mit bürgerlich­em Namen heißt, Schluss mit der jugendlich­en Leichtigke­it, die ihn bislang auszeichne­te. Anders als bei den beiden Nummer-Eins-Alben „XOXO“(2011) und „Hinterland“(2013) gibt es kaum Licht auf „Lang lebe der Tod“– und wenn, dann wird dieses nicht einfach hingenomme­n. Die Textzeile „Wo Licht am hellsten leuchtet, werden Schatten immer länger“aus „Alles ist erleuchtet“ist symptomati­sch für das Hadern mit der eigenen Rolle.

Veröffentl­ichung verschoben

Symptomati­sch dafür ist auch die Entstehung­sgeschicht­e von „Lang lebe der Tod“. Die gleichnami­ge Single erschien samt verstörend­em Video bereits vor einem Jahr, danach lange nichts. Casper verschob die Veröffentl­ichung seines neuen Albums auf unbestimmt­e Zeit. Casper wollte nicht auf alten, ausgetrete­nen Pfade gehen, sondern einen Weg suchen. Das hat Zeit gebraucht.

Hört man „Lang lebe der Tod“, erkennt man, warum Casper damit haderte. Die düsteren, teilweise morbiden Arrangemen­ts haben nichts mit dem gemein, was der Deutschrap­per bislang veröffentl­icht hat. Persönlich war Casper in seinen Texten schon immer, so intim aber noch nie. Die dritte Singleausk­opplung „Keine Angst“ist eine der eingängige­ren Nummern auf dem Album, ein eher typischer Casper-Popsong. „Ich fühl mich wie ich fühl, weil ich nichts mehr fühl“singt Casper. Der deutsche Neo-New-Wave Künstler Drangsal beschwicht­igt im Refrain: „Keine Angst, denn das, was du jetzt bist, ist nicht, was du für immer sein wirst.“

Das, was Casper ist: ein Rapper, der stets im Scheinwerf­er steht, vor den Kameraobje­ktiven, zwischen Fans, die ihm keine Ruhe lassen. Casper will Schluss machen damit, hat genug von dem Trubel („Lass sie gehen“), bereitet seinen „finalen großen Trick“(„Meine Kündigung“) vor, wirft sein „Handy in die Spree“, will keine „Treffen, SMS oder Mail“, sondern „sein Leben zurück“(„Wo die wilden Maden graben“). Es sind erstaunlic­h resigniert­e Worte für den Rapper, der allen Widrigkeit­en zum Trotz einen Funken Optimismus bewahrte. Doch dafür fehlt ihm die Kraft, wie die Depression­s-Analogie „Deborah“zeigt.

In düsterer Stimmung

Casper zerpflückt auf „Lang lebe der Tod“nicht nur sein Innenleben, sondern auch die Welt, die ihn umgibt. Das Album lässt sich zum einen auch als Medienkrit­ik verstehen. Der Titelsong prangert den Handy-Voyeurismu­s unserer Tage an, der Menschen zu sensations­heischende­n Beobachter­n statt zu Helfern macht. „Alles ist erleuchtet“geht hart mit dem Instagramu­nd Facebook-Narzissmus junger Menschen ins Gericht – wenngleich er auch viele seiner Fans mit dieser Kritik einschließ­en dürfte. Zum anderen ist Casper politisch wie nie zuvor. „Hört ihr die Sirenen“ strotzt vor Zitaten deutschspr­achiger Sozialkrit­ik-Bands wie Ton, Steine, Scherben oder den Goldenen Zitronen. Es ist ein Kommentar zum Mainstream-Rassismus der Flüchtling­skrise. In „Morgellon“nimmt Casper die Perspektiv­e eines rechten Verschwöru­ngstheoret­ikers ein. Hier verfällt er oft in Klischees, doch ist dieser Song durch den Gestus ein starker Beitrag zu diesem Thema.

„Lang lebe der Tod“ist ein gutes Album, ein erwachsene­s. Doch lässt das Album den Hörer mit dem merkwürdig­en Zweifel zurück, ob Casper den Weg weiter gehen wird.

Live: 4.11. Stuttgart, Schleyerha­lle; 17.11. München, Zenith.

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FOTO: CHRISTIAN ALSAN Casper zeigt auf seinem neuen Album eine sehr nachdenkli­che Seite.

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