Die Frage bleibt: War der Unfall wirklich nur ein Versehen?
Fünffacher Familienvater wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt
WANGEN - Einem Mann hatte die Staatsanwaltschaft gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er sollte im September 2016 in einer Isnyer Flüchtlingsunterkunft seine damals 16-jährige Tochter absichtlich mit einem Teppichmesser am Hals verletzt haben. Trotz einiger Zweifel konnte der Beweis nicht erbracht werden. Das Gericht sprach nach eingehender Zeugenvernehmung von einem Unglücksfall und erkannte lediglich eine fahrlässige Körperverletzung an.
Der Angeklagte, der schon bei der polizeilichen Vernehmung die Aussage verweigert hatte, machte auch vor dem Schöffengericht in Wangen von seinem Recht Gebrauch: Er schwieg. Zu persönlichen Angaben war er erst bereit, nachdem sein Verteidiger auf ihn eingewirkt hatte. So konnte in Erfahrung gebracht werden, dass der 47-Jährige zusammen mit seiner ältesten Tochter im November 2015 illegal nach Deutschland gekommen war und ein bis 2019 befristetes Aufenthaltsrecht besitzt.
Die Tatsache, sieben Monate lang ohne Nachricht seiner zunächst im Heimatland verbliebenen Familie zu sein, habe ihm „Druck gemacht“und ihn in psychische Probleme gestürzt, sagte der studierte Jurist. Der Griff zur Flasche sei eine Auswirkung davon gewesen. Jetzt, nachdem Frau und Kinder bei ihm seien, würde er nur noch wenig Alkohol zu sich nehmen. Und mit „Sprachschule besuchen und dann Arbeit suchen“blickte er in die nahe Zukunft.
Die Geschädigte, mittlerweile 17 Jahre jung, berief sich zunächst auch auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Um dann etwas später doch in den Zeugenstand zu treten. Wie bei allen anderen geladenen Personen, wurde ihre Aussage von einem Dolmetscher übersetzt.
Ihre Version des Vorfalls hörte sich so an: Sie sei von der Schule gekommen und habe sich ihre JoggingSachen aus dem Schrank holen wollen, als ihr stark angetrunkener Vater vor dem danebenstehenden Kühlschrank die Plastikummantelung eines Bier-Sixpacks mit einem Teppichmesser öffnete. Dabei sei ihm das Werkzeug abgerutscht und habe sie „aus Versehen und ohne Absicht“am Hals getroffen. Die Schnittwunde sei dann im Krankenhaus versorgt worden.
Auf die Frage, warum sie zunächst von einem Fahrradunfall gesprochen habe, wurde von der jungen Frau mit „In unserer Kultur bedeutet eine Narbe so etwas wie Schande“beantwortet. Ansonsten sei das Verhältnis zum Vater gut. Die 17-Jährige beteuerte, dass alles Negative, das in den Akten zu lesen sei, „frei erfunden wurde“. Überhaupt rühre Ärger, wenn überhaupt, allein vom Alkohol her. So müsse auch ihr Ausspruch vor der Polizei „Gott wird ihn dafür bestrafen“in diesem Zusammenhang gewertet werden, denn: „Alkohol ist in unserer Kultur tabu.“
„Nichts gesehen, nichts gehört“
Eine Freundin der Betroffenen hatte zuvor keinen Zweifel daran gelassen, dass sie laut Richter „den Angeklagten schützen will“und „alles intern abgesprochen ist“. Immer wieder musste die 20-Jährige an ihre Wahrheitspflicht erinnert werden und daran, bei der Polizei völlig andere Angaben gemacht zu haben. So hatte sie damals vor allem davon berichtet, dass die Geschädigte von ihrem Vater öfter geschlagen worden sei. Jetzt aber versicherte sie: „Ich habe nichts gesehen und nichts gehört.“
Um eine Erklärung für ihr Verhalten zu bringen, zeigte sich die Zeugin überzeugt davon, bei der polizeilichen Vernehmung an einen „schlechten Dolmetscher“geraten zu sein. Ähnlich äußerte sich auch ein 40 Jahre alter Zeuge, der sich zur fraglichen Zeit mit im Raum befunden hatte. Auch er wollte trotz zuvor anders lautender Äußerungen nichts von handgreiflichen, wohl aber von verbalen Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter gewusst haben.
Aus dem vorgelesenen Gutachten ging hervor, dass es sich bei der Verletzung des Mädchens um eine „bogenförmig verlaufene Schnittwunde von drei bis fünf Zentimeter Tiefe“gehandelt habe. Nicht auszuschließen sei, dass sich der Unfallhergang „wie von der Betroffenen geschildert zugetragen haben könnte“.
„Ich glaube den Zeugen nicht, ihre Aussagen sind gar zu abenteuerlich“, ließ die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wissen. Und sie stellte einen „dummen Zufall“in Abrede. Gleichwohl musste sie „das fahrlässige Geschehen so akzeptieren“. Für den Angeklagten beantragte sie eine Haftstrafe von vier Monaten, die zur Bewährung auszusetzen sei. Darüber hinaus hielt sie eine Arbeitsauflage für dringend geboten.
Diese konnte letztendlich nicht ausgesprochen werden. Da das Gericht statt einer Freiheitsstrafe lediglich eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je zehn Euro verhängte, fiel das Aussprechen einer solchen Anordnung ebenso weg wie die Weisung, „die Alkoholprobleme anzugehen“. In seiner Urteilsbegründung hielt der Richter den Verfahrensgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“vor Augen, wollte aber nicht verhehlen, dass das Hantieren mit einer weiter ausgefahrenen Klinge eine lebensbedrohliche Gefahr hätte darstellen können.