„Ich bin niemand, der sich ausruht“
Die scheidende Kunstmuseums-Leiterin Nicole Fritz über ihre Bilanz in Ravensburg und neue Herausforderungen
RAVENSBURG - Nach sechs Jahren in Ravensburg zieht es Nicole Fritz (48) nach Tübingen. Dort wird sie ab 2018 die Kunsthalle leiten. In Ravensburg hat die Kunsthistorikerin das 2013 eröffnete Kunstmuseum aufgebaut und zu einer Institution gemacht, die über die Region hinaus Beachtung findet. Mit Ruth Auchter zieht Nicole Fritz Bilanz.
Frau Fritz, sind Sie innerlich schon auf dem Absprung?
Nein! Uns wurde zwar schon ein Haus in Tübingen angeboten. Aber ich mache hier ja noch eine große Ausstellung in Kooperation mit dem Brücke-Museum Berlin. Wir zeigen Werke von Karl Schmidt-Rottluff, der die Künstlergruppe Brücke mitbegründet hat und in der Sammlung Peter und Gudrun Selinka vertreten ist. Eröffnung ist am 3. November. Wir stellen seine Entwicklung und die verschiedenen Phasen seines Werkes vor. Hauptthema ist die Farbe – die steht bei Schmidt-Rottluff im Mittelpunkt.
Fundament des Ravensburger Kunstmuseums ist die Sammlung Selinka – Segen oder auch ein wenig Fluch für Sie als Kuratorin?
Es ist ein Glück, eine solche Sammlung zu haben. Ich bin sehr eng mit dem Kunstmuseum verbunden – schließlich habe ich schon den eineinhalbjährigen Vorlauf bis zur Eröffnung im März 2013 hautnah miterlebt. Das hatte etwas SchöpferischMütterliches, damals wollte ich Ravensburg am liebsten nicht mal für wenige Tage verlassen. Aber es war immer klar, dass ich nicht ewig hier bleibe. Jetzt möchte ich wieder freie Ausstellungen machen, wachsen, mich weiterentwickeln und neue Fragestellungen bearbeiten. In Tübingen ist alles möglich – jede Stilrichtung und Fragestellung. In Ravensburg ist man von der Sammlung her thematisch begrenzt.
Was hat Sie 2011 dennoch bewogen, nach Ravensburg zu kommen?
Man konnte sehr kreativ mit der Sammlung Selinka arbeiten und zeigen, wie die Expressionisten Anfang des 20. Jahrhunderts und später die Cobra- und Spur-Künstler in den 1960er-Jahren das Emotionale geschätzt und herausgestellt haben. Es war mir ein Anliegen, zu vermitteln, dass diese Kunst, die alle Sinne anspricht, auch und gerade in unserer digitalen, aus den Fugen geratenen Welt wichtige Qualitäten birgt. Die Menschen suchen das direkte Erleben und lieben die Expressionisten, weil sie im Dialog mit deren Werken so viel spüren.
Ist die Welt heute denn aus den Fugen?
In Ravensburg nicht (lacht). Um uns herum schon. Es ist wunderbar, hier zu leben – aber man muss auch über die Stadtmauern hinausblicken. Ich bin niemand, der sich ausruht. Ich möchte gesellschaftlich etwas bewegen.
Haben Sie das in Ravensburg geschafft?
Ich gehe hochzufrieden und bin glücklich – über die Entwicklung des Hauses und über die des Kunststandortes Ravensburg. Interesse und Verständnis für Kunst sind dank unserer Arbeit in den vergangenen Jahren sicherlich gewachsen. Das Museum ist regional verwurzelt und strahlt überregional aus. So ein Ort macht eine Stadt urbaner und trägt nicht zuletzt zur Toleranzschulung bei, indem er etwa dazu auffordert, dem Fremden zu begegnen. Trotzdem hatte ich anfangs Angst, dass uns womöglich niemand sieht. Da war es eine große Bestätigung, dass wir 2015 als Museum des Jahres ausgezeichnet wurden.
Was wird Ihnen fehlen, wenn Sie aus Ravensburg weg sind?
Der direkte Bezug zur Natur: Ganz in der Nähe unserer Wohnung in der Marktstraße hatten wir einen Garten am Veitsburghang, das war ein großes Geschenk. Ich werde auch die Menschen vermissen, die interessiert ins Kunstmuseum gekommen sind und mein Programm getragen haben.
Was war Ihre persönliche Lieblingsausstellung?
Das kann ich so nicht sagen. Jede hatte ihren Reiz, und ich habe alles mit Herzblut gemacht. Den größten Zuspruch hatte die Nolde-Ausstellung im vergangenen Jahr: 2016 hatten wir mit 41 000 fast so viele Besucher wie im Eröffnungsjahr 2013.
Welche Herausforderung wartet nun in Tübingen auf Sie?
Die Kunsthalle war bisher eher ein hehrer Kunsttempel und lange von der Stadt abgekoppelt. Es wird darum gehen, mittels Kunst Sinnlichkeit in eine intellektuell geprägte Stadt zu bringen und neue Zielgruppen zu erschließen. Da kann ich viel von dem mitnehmen, was wir hier an Vernetzung geleistet haben – inzwischen gibt es am Kunstmuseum Ravensburg beispielsweise einen freien Stab von 15 Kunstvermittlern, einen Jugendclub, inklusive Malwettbewerbe mit dem ZfP Weißenau und immer wieder Workshops. Das alles wird dem Ravensburger Kunstmuseum nicht verloren gehen. Ich bin überzeugt davon, dass Kunst die Kraft hat, Menschen zusammenzubringen.
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