Giani und die Silber-Helden
Volleyballer übertreffen mit Medaille die Erwartungen und sind bereit für Olympia
KRAKAU (dpa/SID) - Zwei, drei Gläschen zum Anstoßen – für viel mehr blieb den deutschen Volleyballern nach dem EM-Silber keine Zeit. Bereits um 4.10 Uhr, knapp fünf Stunden nach Spielende, fuhr der Mannschaftsbus am Montagmorgen Richtung Flughafen. Dabei hatte der Teammanager extra einen Club gebucht, doch nach der Niederlage im Fünf-Satz-Krimi gegen Favorit Russland in Krakau kamen Georg Grozer und Co. schlichtweg zu spät. Die Reservierung war bereits abgelaufen.
„Alle haben vorher gedacht, die Russen gewinnen ganz leicht“, sagte Bundestrainer Andrea Giani. „Aber das ist Volleyball.“Mehr als ein Bier wollte Giani dann aber doch nicht auf die unglaubliche Leistung seiner Mannschaft trinken, das Turnier hat auch den 47-Jährigen unheimlich viel Kraft gekostet: „Ich muss mich jetzt erstmal erholen.“
Schon am Samstag hatte die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) mit dem 3:2 im Halbfinale gegen Serbien Geschichte geschrieben und die erste EM-Medaille einer deutschen Männermannschaft perfekt gemacht. Am Ende waren es sogar nur zwei magere Pünktchen, die das Team vom Titel trennten.
Dennoch dürfen sich die WMDritten von 2014 nach ihrer FünfSterne-Endrunde mit der ersten EMMedaille wie wahre Champions fühlen.
„Im ersten Moment tut's natürlich weh, aber das ist der Sport. Wir haben eine sensationelle Leistung gezeigt und haben fast eine Herkulesaufgabe bewältigt“, sagte der stolze Verbandschef Thomas Krohne, nachdem Deutschland den 14-maligen Titelträger aus dem Riesenreich in einem denkwürdigen Finale fast in die Knie gezwungen hätte. Mehr als zwei Stunden kämpfte ein sich aufopferndes deutsches Team um jeden Ball. Die Schmettermaschinen aus Russland waren nach ihrem ersten Satzverlust im gesamten Turnier erst verwundert, dann gereizt und im vierten Durchgang sogar ratlos ob des leidenschaftlichen Auftritts des atemberaubenden Kontrahenten.
Im Entscheidungssatz lagen die über sich hinaus gewachsenen Deutschen sogar mit 5:2 in Führung. Doch erst verzog der überragende Grozer, der insgesamt 27 Punkte erzielte, dann waren die Aufschläge des Olympiasiegers von 2012 beim 2:3 (19:25, 25:20, 22:25, 25:17, 13:15) doch zu stark. Es war ein Thriller für die Geschichtsbücher.
Am Ende war Grozer, der bereits in wenigen Tagen zu seinem neuen Club Nowosibirsk aufbricht, einfach nur dankbar. „Mich haben diese jungen Leute total fasziniert. Ich bin so froh, dass ich hier mitspielen durfte. Danke nochmal, dass Giani mich zurückgeholt hat“, so Grozer, der sich eigentlich in diesem Sommer seiner Familie widmen wollte. Doch der Trainer überzeugte den Star von seinem Konzept.
„Es war ein unglaubliches Finale“, sagte dann auch eben jener Giani. In gerade einmal sieben Monaten führte die italienische Volleyball-Legende Deutschland zu einer aggressiveren Spielweise und dann zur erst vierten Medaille in der Geschichte der rasanten Sportart. Vor dem Gewinn von WM-Bronze vor drei Jahren in Polen war die DDR mit dem WM-Titel 1970 und Olympia-Silber 1972 vor mehr als 45 Jahren erfolgreich gewesen.
Giani setzt auf eine gesunde Mischung von erfahrenen Spielern und Talenten aus der Bundesliga. Den erst 18-jährigen Tobias Krick und den 20-jährigen Julian Zenger – bereits im vergangenen Jahr im Kader beim VfB Friedrichshafen – beförderte der Trainer kurzerhand in die Startformation. Beide sind ein Gewinn für die Nationalmannschaft.
Aber in Polen sind Gianis Schützlinge als Mannschaft insgesamt über sich hinausgewachsen.
Dies könnte so bleiben. Denn der Verband hat das Projekt mit Giani langfristig angelegt, Fernziel ist die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Der 47-Jährige hat einen Vertrag bis 2018, der DVV kann per Option bis 2020 verlängern. Zunächst hat sich Giani aber schon etwas anderes vorgenommen: „Ich bin hier, um zu gewinnen. Bei nächster Gelegenheit holen wir die Goldmedaille.“