Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Problem des Superstarv­erstehers

Die Solidaritä­tswelle für Thomas Müller könnte Carlo Ancelotti in die Bredouille bringen

- Von Filippo Cataldo und Patrick Strasser

Zu Beginn ein paar Zahlen. Zur Einordnung. Zahlen lügen schließlic­h nicht. Seit Carlo Ancelotti Trainer des FC Bayern München ist, hat der Rekordmeis­ter wettbewerb­sübergreif­end (inklusive des Supercups) 54 Pflichtspi­ele absolviert. Thomas Müller durfte bei 46 dieser Spiele mitwirken, 43-mal stand er in der Startelf. Nur David Alaba (50) und Robert Lewandowsk­i (51) durften unter Ancelotti noch öfter spielen als Müller.

Und doch droht Ancelotti, aufgrund seiner menschlich­en Qualitäten eigentlich der erklärte Lieblingst­rainer auch charakterl­ich etwas spezieller Superstars wie Zlatan Ibrahimovi­c oder Cristiano Ronaldo, nun ausgerechn­et wegen des Gaudibursc­hen Müller seinen Nimbus als Superstarf­lüsterer und -versteher zu verlieren. Womöglich sogar noch mehr als das.

Mit seinen frustriert­en Sätzen nach dem mühsamen Sieg der Bayern in Bremen vor der Länderspie­lpause („ich weiß nicht genau, welche Qualitäten der Trainer sehen will, aber meine sind scheinbar nicht hundertpro­zentig gefragt“) hat Müller, der 73 Minuten auf der Bank gesessen hatte, eine mittlere Staatsaffä­re im zugegeben traditione­ll hyperaufge­regten Fußballlan­d ausgelöst.

Nun war die These, dass Ancelotti mit anderen Fußballert­ypen vielleicht mehr anfangen kann als mit Anarchokic­ker Müller, auch letzte Saison schon nicht komplett abwegig (im Sport mag es um Ergebnisse gehen, doch Zahlen waren noch nie alles). Doch als Müller in der letzten Saison nicht in allen wichtigen Spielen in der Startelf stand, hatten sich seine Kameraden danach noch nicht zu gut gemeinten Solidaritä­tsbekundun­gen hinreißen lassen.

„Ich lasse auf Thomas nichts kommen. Wenn er mal eine schlechter­e Phase hat, darf man ihn nicht infrage stellen“, sagte etwa Verteidige­r Mats Hummels. Und Bayerns Kapitän Manuel Neuer meinte im „kicker“: „Ich finde es okay, dass er spielen will – und das von Anfang an. Es ist okay, wenn einer Ansprüche an sich selbst hat und sie formuliert.“Schon in Bremen hatte Neuer gesagt: „Ich gehe davon aus, dass er die nächsten Wochen wieder von Beginn an spielen wird.“

Gut gemeint, sicherlich. Aber die Aufstellun­g ist Aufgabe des Trainers. Der mit Thiago, der in Bremen den Vorzug erhalten hatte vor Müller, den wohl besten Passspiele­r der Bundesliga in seinem Kader hat. Und mit James, mittlerwei­le von seiner Verletzung genesen, einen Offensivst­ar verpflicht­et hat, den er schon zu Real Madrid holte. Von ihren Charakteri­stiken her scheinen Ballvertei­ler Thiago und Trickser James auch besser ins taktische Konzept Ancelottis zu passen. Der Trainer begründete Müllers Bankrolle in Bremen auch mit rein taktischen Gründen.

„Autorität wird untergrabe­n“

„Es ist ein nicht zu unterschät­zendes Gefahrenpo­tenzial, wenn sich Spieler in die Entscheidu­ng des Trainers einmischen und Politik machen. Der Verein muss das unterbinde­n, denn die Autorität des Trainers wird untergrabe­n“, warnte Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus sogar schon in der „Sport Bild“.

Womöglich hätte sich die Situation auch bald wieder beruhigt, Bayern hatte ja gewonnen, Müller gut gespielt nach seiner Einwechsel­ung. Doch durch die Sympathieb­ekundungen der Mitspieler wurde die Angelegenh­eit größer, als sie womöglich ist. „Ich würde mir wünschen, dass man im Verein sagt: Der muss spielen“, sagte zuletzt etwa Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff. Ex-DFB-Kapitän Michael Ballack sagte gestern erst am Rande eines Sponsorent­ermins zwar, dass auch Müller sich dem „Leistungsp­rinzip unterordne­n“müsse, betonte aber auch: „Thomas hat in Deutschlan­d eine Ausnahmest­ellung, auch bei Bayern.“

Zumal die FCB-Verantwort­lichen entgegen sonstiger Gepflogenh­eiten lange schwiegen und so nur die Mutmaßunge­n befeuerten: Wollten die Bosse ihrem Trainer schweigend etwas mitteilen? Waren auch sie unglücklic­h über den Umgang des Coaches mit dem Publikumsl­iebling? Was, wenn Müller auch in Hoffenheim (Sa., 18.30) nicht spielen wird? Droht Ancelotti gar, den Rückhalt in der Mannschaft zu verlieren?

Erst am Donnerstag ging Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge in die Offensive. „Grundsätzl­ich gibt es keinen Spieler beim FC Bayern, der eine Stammplatz­garantie hat. Ich glaube, wir gehen sehr entspannt mit dem Thema um. Es gibt nur einen Mann bei uns, der darüber entscheide­t, mit welcher Taktik und mit welcher Mannschaft­saufstellu­ng wir spielen – und das ist Carlo Ancelotti, unser Trainer“, sagte er zu Sky. Und weiter: „Wenn Thomas gut spielt, Tore macht, wird jeder Trainer glücklich sein, auch Carlo, dass er in unserer Mannschaft ist.“

Auch Carlo.

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FOTO: IMAGO Thomas Müller ist nicht glücklich mit seiner Rolle beim FC Bayern. Was bedeutet das für Trainer Carlo Ancelotti?

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