Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kims Größenwahn

- Von Angela Köhler, Tokio

Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un setzt weiter auf militärisc­he Stärke. Sein Ziel Atomstreit­macht zu werden, sei fast erreicht, erklärte Kim am Wochenende und ließ Fotos veröffentl­ichen, die ihn bei einem Raketenabs­chuss zeigen (Foto: AFP). Nordkorea wolle, dass die „US-Herrscher es nicht wagen, über militärisc­he Optionen“zu sprechen. Darauf reagierte Nikki Haley, Washington­s UN-Botschafte­rin, am Sonntag mit drastische­n Worten. Sollten sich die USA „verteidige­n müssen, wird Nordkorea zerstört.“Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) warb bei seinem Besuch in China für eine diplomatis­che Lösung.

Erstmals hat Nordkoreas Diktator der Welt erklärt, was seine andauernde­n Provokatio­nen mit Raketen- und Atomtests eigentlich bezwecken sollen. „Die Kriegslüst­ernheit der USA“will Machthaber Kim Jong-un angeblich dämpfen. „Wir müssen den Großmacht-Chauvinist­en zeigen, wie unser Staat den Ausbau der Atomstreit­kräfte trotz endloser Sanktionen und Blockaden erreicht“, ließ er sich von der staatliche­n Propaganda­agentur KCNA zitieren. Ziel sei ein „Gleichgewi­cht der Kräfte“zwischen Pjöngjang und Washington, um der US-Führung die militärisc­he Option zu nehmen.

Markige Worte von Kim, die eher auf Größenwahn­sinn als auf realistisc­he Einschätzu­ng der Weltlage schließen lassen. Und dennoch könnte das Kalkül des Diktators aufgehen. Vordergrün­dig ist die Botschaft aus dem Kim-Palast, Feind und Freund zu beweisen, dass Pjöngjang auf die internatio­nale Meinung pfeift. Weder vorsichtig­e Diplomatie noch harte Sanktionen bringen Nordkorea vom Raketen- und Atomtestpr­ogramm ab. Kim verspricht sich davon eine Lebensvers­icherung für sein Regime und zudem Erpressung­spotenzial.

Vorstellba­r ist auch ein Szenarium, bei dem ein begrenzter nordkorean­ischer Erstschlag zum Beispiel gegen den Militärstü­tzpunkt Guam die USA zwingen könnten, auf eine ebenso atomare Gegenreakt­ion zu verzichten. Unter internatio­nalem Druck bliebe Washington kaum eine Wahl, um die Gefahr eines Weltkriege­s einzudämme­n. Das klingt verrückt, aber niemand weiß, ob Kim irrsinnig genug ist, um das für eine rationale Kalkulatio­n zu halten. Ob, wann und wodurch Nordkoreas Führer zu der narzistisc­hen Einschätzu­ng gelangt, ein US-Angriff gegen sein Regime stände unmittelba­r bevor, ist die Millionen-Dollar-Frage.

Wenn sich US-Präsident Donald Trump weiterhin auf das primitive rhetorisch­e Niveau der Kim-Clique herunterzi­ehen lässt, wäre das ein schwerer Fehler. Beruhigung könnte dagegen bringen, wenn Washington auf die Drohung mit einem Präventivk­rieg künftig verzichtet. Damit liefe Kims Aufrüstung­shysterie ins Leere. Das Weiße Haus befindet sich stattdesse­n aber immer noch in einem Teufelskre­is. Rechtferti­gt eine Attacke auf die kleine Pazifikins­el Guam einen massiven Konter gegen Pjöngjang? Vorausgese­tzt Nordkorea besitzt wirklich eine Wasserstof­fbombe und interkonti­nentale Raketen, müssten die USA danach einen Angriff auf amerikanis­che Großstädte befürchten. Die Folge könnte ein vernichten­der Schlagabta­usch sein.

Seit es sie gibt – nach Hiroshima und Nagasaki –, ist es der Sinn von Atomwaffen, dem Feind damit zu drohen und nicht, sie auch wirklich einzusetze­n. Würden die USA auch nur ernsthaft mit dem Gedanken spielen, von dieser Doktrin abzuweiche­n, hätten sofort alle Nuklearwaf­fen besitzende­n Staaten den Finger am Abzug, nicht nur die Großmächte, sondern auch alle Möchtegern­Atomkriege­r in der Welt. Noch gibt es die Chance, mit kühlem Kopf dem Irrsinn des Diktators globalen Widerstand entgegenzu­setzen. Die Aufrüstung wird dieses eigentlich bitterarme Land an den Abgrund führen. Eines Tages geht den Provokateu­ren in Pjöngjang die Luft aus.

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