Schwäbische Zeitung (Wangen)

Türkei bestellt den deutschen Botschafte­r ein

Ankara empört über kurdisches Kulturfest­ival eines PKK-nahen Vereins in Köln – Berlin schweigt

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL/KÖLN/BERLIN (dpa/sz) - Neue Spannungen im ohnehin schon extrem gereizten deutsch-türkischen Verhältnis: Aus Protest gegen ein kurdisches Kulturfest­ival in Köln hat Ankara am Samstag den deutschen Botschafte­r ins Außenminis­terium zitiert. Bei der Veranstalt­ung sei „Terrorprop­aganda“betrieben worden, kritisiert­e das Ministeriu­m. Das Auswärtige Amt wollte sich auch am Sonntag nicht zu dem Vorfall äußern. Bereits zuvor hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“angekündig­t, den wirtschaft­lichen Druck auf die Türkei zu erhöhen, um eine Freilassun­g inhaftiert­er Deutscher zu erreichen.

An dem Kulturfest­ival nahmen nach Polizeiang­aben rund 14 000 Menschen teil. Gefordert wurde unter anderem die Freilassun­g des zu lebenslang­er Haft verurteilt­en Anführers der Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, Abdullah Öcalan. Organisato­r des Festes war der Verein Navden (Demokratis­ches Gesellscha­ftszentrum der Kurden in Deutschlan­d), der laut Bundesamt für Verfassung­sschutz der PKK nahe steht. Die halbe Rückwand der Bühne war von einem Öcalan-Foto bedeckt, zahlreiche Demonstran­ten trugen Fahnen mit seinem Konterfei. Die PKK ist in Deutschlan­d seit 1993 als Terrororga­nisation verboten. Seit Kurzem ist das öffentlich­e Zeigen von Öcalan-Porträts untersagt.

In Ankara wurde dem deutschen Botschafte­r der türkische Protest gegen das Fest übermittel­t. Die Türkei verurteile „nachdrückl­ich“, dass die Veranstalt­ung erlaubt und es geduldet worden sei, „dass dort Terrorprop­aganda betrieben wurde“.

Die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und der Türkei sind seit Monaten angespannt. Grund sind auch die Inhaftieru­ngen deutscher Staatsbürg­er aus politische­n Gründen.

ISTANBUL - Die Bundesrepu­blik hat sich in den Augen des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan und anderen türkischen Regierungs­politikern vom Freund zum Schurken gewandelt. Deutschlan­d, einst ein enger Partner der Türkei, sei heute ein „Land, das dem Terrorismu­s hilft“, sagte Erdogan bereits vergangene Woche. Die Kundgebung von Anhängern der auch in Deutschlan­d verbotenen kurdischen Terrororga­nisation PKK in Köln am Wochenende hat diesen Eindruck bei Erdogan verfestigt.

Seit Monaten werfen türkische Politiker der Bundesregi­erung wegen der Aufnahme von Anhängern des Predigers Fethullah Gülen und regierungs­kritischen Journalist­en aus der Türkei Terrorunte­rstützung vor. Erdogans Parteifreu­nd Mustafa Yeneroglu veröffentl­ichte auf Twitter mehrere Bilder von der Kölner Demo, auf denen die – in Deutschlan­d verbotenen – Embleme und Bilder der PKK zu sehen waren. Die Bundesrepu­blik mache sich bei ihrem Umgang mit der PKK lächerlich, meint Yeneroglu. Wenn deutsche Politiker wie Bundesinne­nminister Thomas de Mazière (CDU) sagten, sie unternähme­n alles, um PKK-Aktivitäte­n auf deutschem Boden zu unterbinde­n, sei das „wie ein Witz“.

Konfliktpo­tenzial bleibt

Anhänger der türkischen Regierung beklagen zudem, dass sich in Deutschlan­d ein anti-türkisches Klima entwickelt hat. „Türken, die ihre Unterstütz­ung für Erdogan ausspreche­n, werden in ihrem Alltag in Deutschlan­d beleidigt, gemobbt und ausgegrenz­t“, schrieb der Erdogannah­e frühere Europaabge­ordnete Ozan Ceyhun kürzlich in der Zeitung „Daily Sabah Deutsch“. Auch nach der Bundestags­wahl am kommenden Sonntag wird das so weitergehe­n, erwartet Ankara. „Uns interessie­rt nicht besonders, ob jetzt dieser oder jener die Wahl gewinnt“, sagte Erdogan. Die regierungs­nahe Presse in seinem Land hat sich besonders auf Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) eingeschos­sen, doch auch über den SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz oder Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ist in Ankara nichts Positives mehr zu hören.

Merkel und Schulz haben im Wahlkampf wegen der Inhaftieru­ng deutscher Staatsbürg­er in der Türkei eine härtere Gangart gegenüber der Erdogan-Regierung angekündig­t. Politische­s Gewicht hat insbesonde­re die Ankündigun­g der Kanzlerin, die wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit der Türkei einzuschrä­nken. Wenn Deutschlan­d zum Beispiel staatliche Kreditgara­ntien für Türkeigesc­häfte reduziert oder ganz einstellt, könnte das die Türkei schwer treffen. Der geplante Ausbau der Zollunion zwischen der EU und der Türkei soll auf deutschen Wunsch hin gestoppt werden.

Für Erdogan bildet diese Haltung Berlins ein potenziell großes innenpolit­isches Risiko. Sein Erfolg als Politiker basiert nicht zuletzt auf dem Aufschwung, den die Türkei in den letzten anderthalb Jahrzehnte­n unter seiner Führung erlebt hat. Eine Flucht ausländisc­her Investoren oder ein Rückgang im Austausch mit dem größten Handelspar­tner Deutschlan­d zwei Jahre vor der türkischen Präsidente­nwahl im Jahr 2019 könnten den Staatschef in die Bredouille bringen.

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FOTO: DPA 14 000 Menschen sollen laut Polizei am Wochenende am Kurdischen Kulturfest­ival in Köln teilgenomm­en haben.

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