Debatte über den Umgang mit der AfD
SPD-Fraktionschef Oppermann verschärft den Ton – Theologe Schorlemmer warnt
BERLIN/KÖLN - In der Woche vor der Bundestagswahl verschärft sich seitens der etablierten Parteien der Ton gegenüber der AfD. Die Partei steht vor dem erstmaligen Einzug in den Bundestag und liegt derzeit laut Umfragen auf Platz drei hinter Union und SPD. „Wir grenzen uns klar ab gegen eine Partei, die das Land spalten will, die Menschen abwertet und offen rassistisch argumentiert. Solche Leute gehören nicht in den Bundestag“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der „Schwäbischen Zeitung“in Bezug auf die AfD. „Dort, wo die AfD wie in Stuttgart in Parlamenten sitzt, zeigt sich, dass sie ausschließlich provoziert, aber nichts tut, um die Lebenslage der Menschen zu verbessern.“
Am Montag betonte auch FDPChef Christian Lindner, er sehe keinerlei inhaltliche Überschneidungen: „Die FDP ist das Gegenteil der völkischen AfD.“Zuvor hatte deren Spitzenkandidat Alexander Gauland eine Koalition mit den Liberalen nicht gänzlich ausgeschlossen. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte zuvor gewarnt, dass mit einem Einzug der AfD in den Bundestag „zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichstag wieder echte Nazis sitzen“. Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht hatte von „Halbnazis oder sogar richtigen Nazis“gesprochen. Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte unlängst in seiner letzten Rede vor dem Plenum, ohne die AfD zu benennen, einen „Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten“gefordert.
Der Bürgerrechtler und evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer warnte derweil im Deutschlandfunk davor, AfD-Wähler zu diffamieren. Er appellierte am Montag an die übrigen Parteien, die AfD inhaltlich zu stellen. Es dürfe nicht der Eindruck eines Kartells entstehen. „Fortgesetztes Parteienbashing bringt der AfD Stimmen“, sagte er. „Ich glaube, wir sollten nicht über jedes Stöckchen, das die AfD hinhält, springen, sollten uns von dem Hass nicht anstecken lassen und durchschaubar machen, mit welchen Winkelzügen die AfD versucht, das parlamentarische System auszuhebeln.“
Am Montag kündigte die AfD an, nach einem Einzug in den Bundestag einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einsetzen zu wollen. Damit dürfte sie sich schwertun. Laut aktueller Regularien sind 120 Stimmen der 630 Abgeordneten, circa 20 Prozent, erforderlich, um einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Laut Umfragen liegt die AfD bei zehn bis zwölf Prozent.
GÖTTINGEN - SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verschärft die Tonlage gegenüber der AfD. Sabine Lennartz sprach mit Thomas Oppermann in Göttingen, seiner Heimatstadt, über den Wahlkampf, die Wahlaussichten und die Wahlversprechen der SPD.
Herr Oppermann, wie viele Duelle müsste Martin Schulz noch führen, um die Wahl zu gewinnen?
In einem Wahlkampf sollten die Parteien ihre Konzepte für die Zukunft des Landes gegenüberstellen, damit die Wähler darüber abstimmen können. Weil die CDU aber inhaltlich blank ist, scheut die Parteivorsitzende Merkel jede echte Auseinandersetzung mit Martin Schulz. Ein weiteres TV-Duell, in dem die Alltagssorgen der Menschen im Mittelpunkt stehen, würde die Chancen von Frau Merkel schmälern. Deswegen entzieht sich Frau Merkel einem weiteren Duell.
Wie oft sind Sie in den letzten Wochen gefragt worden, wie verzweifelt Sie sind?
Ich bin ein von Grund auf optimistischer Mensch. Wir Sozialdemokraten glauben immer an die Möglichkeit zum Besseren. Wir sind eine große Volkspartei mit 440.000 Mitgliedern. Seit Martin Schulz Kanzlerkandidat ist, sind 23 000 neue Mitglieder eingetreten.
Und auch geblieben?
Nicht nur geblieben, sie engagieren sich im Wahlkampf. Sie wollen, dass Deutschland wirtschaftlich stark bleibt und gerechter wird. Und sie wollen auf keinen Fall zulassen, dass Fanatiker und Rassisten vom rechten Rand unser schönes Land kaputt machen.
Warum ziehen Ihre Themen Rente, Gerechtigkeit, Bildung nicht so richtig im Wahlkampf?
Das sind die Themen, die die Menschen interessieren. Wenn wir darüber auf unseren Veranstaltungen reden, entsteht eine ganz andere Stimmung als in Meinungsumfragen. Die Leute wollen wissen, wie sicher ihre Renten sind und was es bedeutet, wenn man bis 2030 nichts macht, wie die Kanzlerin es vorhat. Dann sinkt das Rentenniveau dramatisch, die Beiträge steigen exorbitant und möglicherweise muss sogar bis 70 gearbeitet werden. Die SPD hat ein gutes Rentenkonzept, mit dem wir all das verhindern können.
Sie machen große Versprechen, von den Steuereinnahmen fließen aber heute schon ein Drittel in die Rente. Wie wollen Sie Ihre Pläne finanzieren, wenn die Rentnerjahrgänge weiter wachsen?
Eine stabile Rente ist das zentrale Sicherheitsversprechen unseres Sozialstaats. Wir wollen das Rentenniveau bei 48 Prozent sichern und die Beiträge bei 22 Prozent stabilisieren. Das geht nur, wenn wir die Rentenkasse mit einem steuerfinanzierten Demografiezuschuss unterstützen, der dann aber nicht nur von den Beitragszahlern, sondern über die Steuer von allen, auch von Einkommensmillionären und Topbeamten, mitfinanziert werden muss.
Warum nicht eine Anpassung der Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung?
Weil viele, die hart arbeiten, nicht länger durchhalten. Die müssen dann früher aufhören und Abschläge von ihrer Rente hinnehmen. Das werden wir verhindern. Wer aber freiwillig länger arbeiten will, soll das gerne tun. Ein Jahr länger bedeutet sechs Prozent Zuschlag auf die Rente für die gesamte Lebenszeit.
Wenn Sie auf der einen Seite auf Erfolge in der Großen Koalition verweisen, auf der anderen Seite aber sagen „Nie wieder Große Koalition“, reden Sie dann nicht die Erfolge klein?
Nein, ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben. Mindestlohn, Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen, die Pflegereform, die bessere Stellung von Kommunen, die Milliarden für neue Kitas, all das hätte es ohne die SPD in der Großen Koalition nicht gegeben.
Und doch wollen Sie keine neue Große Koalition mehr?
Ich kämpfe für eine starke SPD und nicht für oder gegen irgendeine Koalition. In der derzeitigen Koalition haben wir jedoch zum Schluss deutlich gesehen, dass wir an die ideologischen Grenzen der Union stoßen. Solidarische Mindestrenten oder ein Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, die Abschaffung der willkürlichen Befristung von Arbeitsverträgen – das alles ist mit der Union nicht zu machen. Stattdessen hält sie starr am Zwei-Prozent-Ziel für Rüstung fest.
Das Nato-Ziel von zwei Prozent wurde von einem früheren Außenminister Steinmeier (SPD) mitgetragen …
Damals ging es darum, den Trend sinkender Verteidigungsausgaben zu stoppen und umzukehren. Dazu stehen wir. Trump hat das nun neu interpretiert und Merkel folgt ihm dabei. Zwei Prozent vom Wirtschaftswachstum hieße in wenigen Jahren eine Verdoppelung der Verteidigungsausgaben. Diese 30 Milliarden Euro wollen wir lieber in eine moderne Infrastruktur und unsere Bildung investieren.
Bereiten Sie sich schon auf den Einzug der AfD in den Bundestag vor?
Ich kämpfe dagegen. Ich bin jederzeit bereit, mit allen zu diskutieren, die glauben, aus Protest gegen die Politik in Deutschland AfD wählen zu müssen. Aber wir grenzen uns klar ab gegen eine Partei, die das Land spalten will, die Menschen abwertet und offen rassistisch argumentiert. Solche Leute gehören nicht in den Bundestag. Dort, wo die AfD wie in Stuttgart in Parlamenten sitzt, zeigt sich, dass sie ausschließlich provoziert, aber nichts tut, um die Lebenslage der Menschen zu verbessern.
Ihr persönlicher Wahlkampf wird verlängert, weil in Ihrer Heimat Niedersachsen drei Wochen später der Landtag gewählt wird. Hier droht ein Verlust der SPD-Regierung. Was macht die CDU besser?
Nichts. Die CDU hat mit der Aufnahme von Frau Twesten von den Grünen den ursprünglichen Wählerwillen in sein Gegenteil verkehrt. Das war ein undemokratischer Vorgang. Deshalb ist es gut, dass der Landtag neu gewählt wird. Ministerpräsident Stephan Weil genießt großes Vertrauen bei den Bürgern im Land.
Wäre der Wählerwille heute noch derselbe, oder hat die enge Verbindung von Landesregierung und Autoindustrie geschadet?
Jeder Regierungschef in Niedersachsen, egal ob SPD oder CDU, muss bei VW eine schwierige Doppelrolle meistern. Einerseits ist er im Aufsichtsrat, andererseits muss er das Gemeinwohl und die Sicherheit der Arbeitsplätze im Auge haben. Das gelingt Weil bisher immer sehr gut.
Herr Weil könnte von der Doppelrolle erlöst werden, wenn die Landesanteile privatisiert würden, wie die FDP fordert.
Ich rate dringend davon ab, den 20Prozent-Landesanteil zu verkaufen. Volkswagen ist das größte deutsche Automobilunternehmen. An wen sollen denn die Anteile verkauft werden? An chinesische Staatsfonds, an US-Finanzinvestoren, an Heuschrecken? Sind das die Profis, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland sichern? Ich bin froh, dass neben den Vertretern des Kapitals und der Arbeitnehmer auch zwei Politiker im Aufsichtsrat sitzen, die das Wohl des Landes im Auge haben.
Was sind denn die Konsequenzen aus der Dieselaffäre? Was ist mit den Dieselfahrern, die nicht mehr wissen, ob sie im kommenden Jahr überhaupt noch in die Stadt fahren dürfen?
Ein Dieselfahrer hat sein Auto in der Erwartung gekauft, dass er damit überall hinfahren kann und sein Fahrzeug den nach Alter üblichen Wert behält. Nun haben windige Manager großen Mist gebaut, getrickst und getäuscht. Deshalb wollen wir, dass die Automobilindustrie die Autos auf eigene Kosten so nachrüstet, dass es Nachteile weder für die Kunden noch für das Klima gibt und dies auch nicht auf dem Rücken der Beschäftigten geschieht. Dafür wird die SPD kämpfen.
Die Interviews mit allen Spitzenkandidaten im Bund und in Baden-Württemberg finden Sie unter: