Schwäbische Zeitung (Wangen)

Organisier­tes Verbrechen im Fernbus

Ergebnis der Kontrolle in Wildberg ist mau – Sozialbetr­üger und Drogenschm­uggler bleiben Problem

- Von Julia Baumann

KREIS LINDAU - Die Inszenieru­ng war riesig, das Ergebnis eher mau: Polizisten aus Bayern und BadenWürtt­emberg haben am Dienstag und Mittwoch in einer groß angelegten Aktion die Fahrgäste von Fernbussen kontrollie­rt. Endgültige Zahlen verkündet Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) am Donnerstag­nachmittag. Am Mittwochab­end ist allerdings schon klar: Die Route über Lindau haben Kriminelle an diesem Tag eher gemieden. Die Beamten erwischten bei der Kontrolle von etwa einem Dutzend Bussen lediglich einen Sozialbetr­üger und fanden neben einem Wurfstern Kleinmenge­n Drogen. Und doch waren genau diese Vergehen bezeichnen­d. Denn sowohl Sozialbetr­üger als auch der organisier­te Rauschgift­schmuggel werden im Fernbus immer mehr zum Problem, wie Lindauer Schleierfa­hnder während der Kontrolle erzählten.

Eins steht jedenfalls fest: Übersehen hat die Einsatztru­ppe, die sich am Mittwochna­chmittag auf dem Parkplatz des „Fliegenden Bauern“positionie­rt hatte, nichts. Etwa drei Dutzend Beamten der Schleierfa­hnder, der Bundespoli­zei, eines Einsatzzug­s aus Kempten, des Landeskrim­inalamts, des Zolls, der Kisslegger Autobahnpo­lizei und den Polizeiins­pektionen Wangen und Friedrichs­hafen durchsucht­en gemeinsam die Fernbusse, kontrollie­rten Pässe und Gepäck der Fahrgäste. Sogar zwei Drogenspür­hunde waren mit von der Partie. „Vicky“und „Paul“schlugen dann auch ein paarmal an: Zunächst bei einem jungen Franzosen, der kurz darauf zugab, vor zwei Wochen einen Joint geraucht zu haben. Später bei drei Gepäckstüc­ken, in denen sich Marihuana befand.

Im Akkord sammelten die Beamten die Pässe der Fahrgäste ein. Die Fahnder Klaus Malek und Andreas Baldauf überprüfte­n sie noch vor Ort in den Computern, die sie im Auto dabei hatten. Wer verdächtig war, musste aussteigen und Fingerabdr­ücke abgeben.

Trotzdem lautete die Bilanz nach gut sechs Stunden: Ein Sozialbetr­üger, ein Gelegenhei­tskiffer, drei Kleinmenge­n Marihuana und ein selbstgeba­stelter Wurfstern. Der Innenminis­ter hatte sich von der Aktion sicherlich mehr erhofft – hat er sie doch extra kurz vor die Bundestags­wahl gelegt, wie ein Polizist der Lindauer Zeitung am Mittwoch erzählte.

Allerdings ist auch eine groß angelegte Kontrolle nur eine Momentaufn­ahme, wie Alexander Pfaff, Chef der Lindauer Schleierfa­hnder, erklärt. Denn auch wenn die Fälle am Mittwoch nicht besonders spektakulä­r waren, so stehen sie doch für zwei Phänomene, die seit einiger Zeit im Zusammenha­ng mit Fernbussen auftreten und immer mehr zum Problem werden: Sozialbetr­ug und Drogenschm­uggel.

Der Fernbus ist zum einen günstig, zum anderen wird dort längst nicht so stark kontrollie­rt wie zum Beispiel im Flugzeug. So werden die Gepäckstüc­ke den Reisenden nicht zugeordnet. Das macht dieses Fortbewegu­ngsmittel extrem interessan­t für Drogenschm­uggler. „Es gibt eine Route von Italien, die den kompletten süddeutsch­en Raum versorgt“, erzählt Fahnder Stefan Schwab. Vor wenigen Monaten hatten die Fahnder in einem Fernbus acht Kilogramm Marihuana gefunden, später kam noch einmal ein Kilo mit dem Fernbus in Lindau an. „Das sind organisier­te Lieferunge­n auf Bestellung“, erklärt Schwab.

Allerdings habe die Polizei bereits Mitglieder der Schmuggler­bande festgenomm­en. „Sie haben ihr Verhalten auch teilweise schon geändert“, erzählt Schwab. So erfreuten sich neben Fernbus und Zug mittlerwei­le auch Mitfahrgel­egenheiten zweifelhaf­ter Beliebthei­t.

Zu einem Dauerbrenn­er-Thema bei den Lindauer Fahndern wird der Sozialbetr­ug: Allein in diesem Jahr haben Fahnder in Lindau und Pfronten bereits 140 Fälle aufgedeckt. „80 Prozent davon waren hier in Lindau“, so Pfaff. In der Regel erwischen die Fahnder Flüchtling­e, die seit einiger Zeit bereit in Italien registrier­t sind. Sie kommen nach Deutschlan­d, registrier­en sich dort noch einmal – und bekommen so doppelt Sozialleis­tungen. Laut Pfaff leben sie meist in Italien – weil ihnen die klimatisch­en Bedingunge­n dort besser liegen und weil die italienisc­hen Sozialleis­tungen hauptsächl­ich aus Wohnraum und Lebensmitt­eln bestehen. Einmal im Monat kommen sie mit dem Fernbus über die Grenze, um sich in Deutschlan­d Geld abzuholen. „Erst vergangene Woche haben wir einen erwischt, der hat ganz offen darüber geredet“, so Pfaff. „Er hat erzählt, dass sie zu zweit sind und abwechseln­d einmal im Monat nach Deutschlan­d fahren, um Geld abzuholen.“

Die Ministerie­n hatten dieses Problem lange Zeit nicht erkannt: Als die SZ im Februar groß darüber berichtete, schienen sowohl das Bayerische Sozial- als auch das Innenminis­terium zum ersten Mal davon zu hören. Nun scheint das Thema zumindest im Innenminis­terium angekommen zu sein.

Ein Video von der Aktion finden

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FOTO: JULIA BAUMANN Drei Dutzend Polizisten haben am Dienstag in Wildberg Fernbusse kontrollie­rt. Bei den allermeist­en Insassen war, wie auf dem Foto, alles in Ordnung.

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