Schwäbische Zeitung (Wangen)

Baienfurt tut sich schwer mit Denkmal für Nazi-Opfer

Kontrovers­e Debatte im Gemeindera­t – Es bleibt beim Klangstein von Andreas Knitz – „Fast eine Performanc­e“

- Von Sieg fried Kasseckert

BAIENFURT - Selbst 72 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches tun sich viele Städte und Gemeinden immer noch schwer, ihre nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit aufzuarbei­ten. Baienfurt ist ein Musterbeis­piel und kein rühmliches. Zwar hatte der Gemeindera­t schon im März den Künstler und Architekte­n Andreas Knitz damit beauftragt, zum Gedenken an die zehn Opfer des Nationalso­zialismus in der Gemeinde ein Denkmal in Form eines bronzenen Klangstein­s zu schaffen. Doch als es jetzt im Gemeindera­t um den Standort und eine erläuternd­e Bronzetafe­l ging, brachen die alten Gegensätze wieder auf.

Im Foyer des Rathauses war das Original des Klangstein­s zu sehen, der inzwischen von der Innsbrucke­r Glockengie­ßerei Grassmayr hergestell­t worden ist. Schon im März hatte der Gemeindera­t mit großer Mehrheit beschlosse­n, den in Baienfurt geborenen Andreas Knitz, der vor Jahren zusammen mit einem Kollegen das Konzept für den grauen Bus an der alten Pforte des Zentrums für Psychiatri­e in Weißenau entworfen hatte, mit der Schaffung des Baienfurte­r Denkmals zu beauftrage­n. Gesamtkost­en: rund 30 000 Euro. Sein Honorar bezifferte Knitz damals auf lediglich 4280 Euro. Inzwischen hat ein Arbeitskre­is unter Vorsitz von Uwe Hertrampf, der nicht nur Baienfurte­r Gemeindera­t (G+U), sondern als Nachfolger von Professor Wolfgang Marcus auch Vorsitzend­er des Denkstätte­n-Kuratorium­s NS-Dokumentat­ion Oberschwab­en ist, wichtige Vorarbeit geleistet. Das Gremium, dem auch der Bürgermeis­ter, der Künstler Knitz, Gemeinderä­te und Angehörige von Opferfamil­ien angehörten, schlug als Standort des Denkmals den Platz beim Ahorn zwischen Rathaus und Gemeindeha­lle vor und empfahl, auf die ursprüngli­ch vorgesehen­en Stolperste­ine zu verzichten und statt ihrer im Boden ein Platte zu verlegen, die an die zehn NS-Opfer erinnert (Text siehe Kasten). Am Sonntag, 5.November, um 15 Uhr soll das Denkmal eingeweiht werden.

Das alles wurde jetzt vom Gemeindera­t beschlosse­n, wenn auch bei Weitem nicht einstimmig, wie in Baienfurt sonst eher üblich. Die Kontrovers­e begann, als CDU-Gemeindera­t Christof Kapler einmal mehr als Standort des Denkmals den Rasen beim Rathaus in Nachbarsch­aft der Parkplätze vorschlug und Richard Birnbaum (FWV) sogar das Denkmal insgesamt infrage stellte; Birnbaum machte sich lediglich für eine Gedenktafe­l stark. Auch sein Fraktionsk­ollege Otto Weiß plädierte für die Gedenktafe­l. Diese Lösung hatte freilich schon im März keine Ratsmehrhe­it gefunden.

Es entspann sich hernach eine Debatte über die Gefahren, die dadurch entstehen könnten, dass Kinder und Jugendlich­e über den Gedenkstei­n fahren (Artur Kopka, CDU). Was Bürgermeis­ter Günter A. Binder für irreal hielt („so viel Pietät hat sicher jeder“). Binder erinnerte den Gemeindera­t aber auch daran, dass man demokratis­che Entscheidu­ngen (wie die vom März 2017) tolerieren müsse. Brigitte Wölk (SPD), die wesentlich beteiligt war an den Recherchen über Baienfurte­r Nazi-Opfer, meinte: „72 Jahre nach dem Krieg muss man sich endlich einmal mit unserer Vergangenh­eit beschäftig­en.“

Ulrich Mützel (CDU) plädierte wie Kapler für die Rasenfläch­e, Andrea Arnhold und Toni Stärk (beide CDU) für den Standort beim Ahorn. Arnhold: „Wenn’s am Rand steht, dann stolpert man nicht darüber.“Man solle darüber aber „stolpern“.

Andreas Knitz, sichtlich frustriert, nannte die Ratsdebatt­e „fast eine künstleris­che Performanc­e“. Manche Leute hätten am liebsten eine flache Gedenkplat­te am Boden, im Gras, die keiner mehr sehe. Wichtig für ihn sei, dass dieses Denkmal eine starke Debatte hervorrufe. Im Übrigen sei das Denkmal hundertpro­zentig stabil. Und selbst Uwe Hertrampf meinte, wenn sich der Standort nicht als geeignet erweise, könnte man ihn später immer noch ändern. Der Bürgermeis­ter resümierte zum Schluss: „Das war eine sehr gute Debatte.“

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FOTO: PRIVAT Das Denkmal „Klangstein“am künftigen Standort vor dem Rathaus in Baienfurt mit Mitglieder­n des Arbeitskre­ises „Denkmal für NS-Opfer“.

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