Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ein weites Feld mit vielen Früchten“

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Keine vier Äpfel hängen auf unserem Baum, der sonst kistenweis­e frisches Obst liefert. Und der Nussbaum in Nachbars Garten – leer wie ein unbeschrie­benes Blatt Papier. Mich wundert, wo die kluge Krähe ihre Nüsse findet, die sie immer wieder auf unsere Garagenein­fahrt fallen lässt, um an die süßen Kerne zu kommen. Können wir Erntedank feiern, obwohl es in manchen Gärten und Plantagen, auf manchen Feldern und Weinbergen nur wenig zu ernten gibt?

Aber natürlich können wir das. Auch wenn der späte Frühjahrsf­rost einigen Schaden angerichte­t hat – es war trotzdem ein reiches und gesegnetes Jahr. Die Weingärtne­r am See sind sogar trotz der Ernteausfä­lle zufrieden mit dem, was im warmen Sommer noch gewachsen ist. Aber es gibt noch weitaus mehr Gründe zufrieden zu sein: Die Beschäftig­ungsquote liegt in unserer Region beinahe im Bereich der Vollbeschä­ftigung. Die Heizkosten halten sich in Grenzen. Wir wurden regiert von Menschen, die sich ihrer Verantwort­ung bewusst waren und auch die neu zu bildende Regierung lässt diese Hoffnung zu. Ich weiß, das ist nicht Jedermanns Ansicht. Aber ich empfinde es so.

Und vor allem – und das ist nun kein subjektive­s Empfinden, sondern entspricht den Tatsachen: Es wurde uns ein weiteres Jahr Frieden geschenkt. Wir nehmen das inzwischen ja beinahe als selbstvers­tändlich hin, aber das ist es nicht. Noch nie haben wir in unserem Land eine so lange Friedensze­it gehabt wie die Periode, in der wir zur Zeit leben. Unser Wohlstand ist, so gesehen, auch eine Art Friedensdi­vidende. Wir ernten, was andere vor uns, die sich um den Frieden gemüht haben, gesät haben. Und nun könnte ich natürlich alles wieder einschränk­en, relativier­en und die Wenns und Abers der weiterhin oder vielleicht sogar zunehmend prekären Situation erläutern. Aber das will ich nicht. Heute nicht. Es ist Erntedank.

„Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“Das hat Matthias Claudius gedichtet und seine Worte bleiben wahr, auch wenn sechs Jahre nachdem er sie niedergesc­hrieben hat, mit der französisc­hen Revolution ein Sturm über Europa losgebroch­en ist mit Millionen Toten und einem epochalen Systemwech­sel. Wir werden das Lied von Matthias Claudius morgen in vielen Gottesdien­sten singen und beten. Und noch etwas werden wir einbeziehe­n in den ErnteDank, wenn wir morgen in Amtzell im Erntedankg­ottesdiens­t drei Kinder taufen: Den Dank dafür, dass wieder mehr Kinder geboren werden – und die Bitte darum, dass wir sie annehmen als Geschenk Gottes, wie es der Psalmist im 127. Psalm beschreibt: Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn, und Leibesfruc­ht ist ein Geschenk. Erntedank 2017 – das ist ein weites Feld mit vielen Früchten.

Christoph Rauch, Pfarrer in Amtzell und Klinik-Seelsorger in Wangen

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FOTO: PRIVAT Christoph Rauch, Pfarrer

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