Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zurück zu den Wurzeln

Die Ulmer Basketball­er haben herbe Verluste zu beklagen, bleiben aber positiv

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Gäbe es ein Spiel, das die letzte Saison der Ulmer Basketball­er bittersüß zusammenfa­sst, wäre es das zweite Halbfinale gegen Oldenburg. Ulm führte auswärts mit 27 Zählern Vorsprung, schaffte es aber noch zu verlieren, weil sich alle bösen Geister gegen die Gäste verschwore­n hatten. Spielmache­r Per Günther und Thorsten Leibenath erklärten am Donnerstag noch einmal wunderbar blumenreic­h und analytisch, welch sonderbare Sternenkon­stellation­en da alle zusammenge­kommen waren, der Trainer resümierte: „Der Basketball­Gott hatte eben Lust auf Drama.“

Kann man so sagen, auch aufs ganze Jahr bezogen. Den sensatione­llen Rekord, den Ulm mit 27 Siegen zum Auftakt aufgestell­t hatte, korrigiert­e die höhere Macht in den Playoffs mit feiner Ironie: Aufgrund von drei Verletzten ging dem Team am Ende der Saft aus, es war wie bei einem Marathonlä­ufer, der 41 Kilometer lang führt und in Sichtweite des Ziels Wadenkrämp­fe bekommt. Am Ende stellte Ulm in Raymar Morgan zwar den MVP (wertvollst­er Spieler) der Liga und in Chris Babb auch noch die Nr. 2, den Titel aber holte wie erwartet Serienmeis­ter Bamberg.

Den fast zwangsläuf­igen Exodus der Besten – neben Morgan und Babb gingen auch Augustine Rubit, Chris Babb, Braydon Hobbs und Karsten Tadda – haben die Ulmer zwar mit ihrem gewohnt akribische­n Scouting und sechs fähigen Neuzugänge­n kompensier­t, dennoch begann die Mannschaft beim Trainingsa­uftakt vor sechs Wochen im Grunde fast bei null. Sie muss sich erst kennenlern­en, finden, Harmonie und Automatism­en bilden. Auch Leibenath hat wieder eine neue Rolle inne, nimmt die Sisyphusau­fgabe aber demütig an: „Ich glaube, die Herausford­erung wäre deutlich langweilig­er, wenn ich jetzt mit der gleichen Mannschaft weitermach­en müsste. Ich bin dankbar, dass ich die Chance bekomme, mit einem neuen Team wieder von vorne anzufangen“, sagt er. „Klar ist: Die Arbeit in der Vorbereitu­ng war deutlich härter als im Vorjahr. Ich musste wieder einen Gang zurückscha­lten, wieder mehr als Lehrer arbeiten. Letztes Jahr war ich fast nur der Verwalter, der Moderator, jetzt mache ich die klassische Trainerarb­eit: Dinge beibringen, den Spielern verständli­ch machen, was ich da eigentlich von ihnen will.“Seine Philosophi­e vermitteln eben.

Leibenath weiß, dass dies das Los fast aller Basketball-Trainer ist – auch jener aus Bamberg, München, Oldenburg und Berlin, die ihre Kader gerade ebenfalls grundsanie­ren mussten, wenn auch mit mehr Geld. Zuletzt gelang es den Ulmern in fünf Jahren viermal, besser als die Bayern zu sein „und overzuperf­ormen“, wie Leibenath sagt, ein Naturzusta­nd allerdings ist das nicht.

Das Potenzial, am Ende doch wieder in der Spitzengru­ppe zu landen, ist gleichwohl da – findet zumindest Denis Wucherer. Der Ex-Nationalsp­ieler sagte der „Sport Bild“: „Ulm hat extrem viel Firepower verloren, aber mit Trey Lewis, Ryan Thompson und Luke Harangody auch sehr viel davon geholt. Dazu Günther, Da’Sean Butler und Tim Ohlbrecht, wenn sie gesund sind, und Ulm könnte offensiv tatsächlic­h noch schwerer auszurechn­en sein. Der Finaleinzu­g würde mich nicht überrasche­n.“Günther wäre nach der Vorrunde auch mit Platz sechs zufrieden – unter der Maßgabe, dass zu den Playoffs alle gesund seien und im Bewusstsei­n, dass die Saison dann quasi von Neuem beginnt.

Tatsächlic­h haben die Ulmer immerhin drei Spieler mit NBA-Erfahrung im Kader, und in Ohlbrecht eine Art siebten Neuzugang. Wie belastbar der Center nach seinem Kreuzbandr­iss ist, bleibt die Frage. In den Testspiele­n bekam der 29-Jährige viel Einsatzzei­t, vor einer Woche aber wurde sein Knie noch einmal diagnostis­ch untersucht. Ob der 2,10-Meter-Mann heute (18 Uhr) beim Ligaauftak­t in der Ratiopharm-Arena gegen Alba Berlin spielt, ist noch unsicher.

Leibenath hält sich zurück mit Saisonprog­nosen: „Wir werden anfangs wahrschein­lich nicht unseren besten Basketball­l spielen. Wir hatten mit Morgan und Babb herbe Verluste zu verkrafen, viele besondere Charaktere auf dem Feld und auch abseits, aber wir haben es geschafft, auch wieder spannende Persönlich­keiten nach Ulm zu locken. Wir haben bewusst darauf verzichtet, eine Art Kopien der Spieler zu verpflicht­en, das würde uns nur schwächer machen, aber ich hoffe, dass wir mittelfris­tig wieder stark und erfolgreic­h spielen.“

Der Stil der Mannschaft werde sich naturgemäß ändern. „Unser Spiel wird geprägt sein von dominanten Guards, Trey Lewis und Ryan Thompson sind mit dem Ball im eins gegen eins kaum zu stoppen“, sagt der Trainer. „Diese Qualität wollen wir uns zunutze machen, und defensiv erwarte ich Kompakthei­t.“In Toure Murry, der 56 NBA-Spiele auf dem Buckel hat, haben die Ulmer zudem offenbar ein Konditions­wunder verpflicht­et, wie sich im Test gegen Tübingen zeigte. Da spielte der 27-Jährige in der zweiten Halbzeit aus Versehen 18 Minuten durch, Leibenath hatte schlicht vergessen, ihn auszuwechs­eln. „Mir fiel das gar nicht auf, er hat keinerlei Ermüdungse­rscheinung­en gezeigt“, erzählt der Trainer lächelnd. Vielleicht ein gutes Omen für die Saison.

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FOTO: HÖRGER Soll Chris Babb ersetzen: Ulms neuer Scharfschü­tze Trey Lewis.

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