Schwäbische Zeitung (Wangen)

Introverti­ert sein – und dennoch Karriere machen

Auch für ruhigere Typen gibt es passende Stellen – wenn sie mit Teamarbeit kein Problem haben

- Von Sabine Meuter

Kommunikat­ion ist in vielen Jobs das A und O. Doch was, wenn man eher in sich gekehrt ist? Dann muss das noch keine Karrierebr­emse sein. Manche Menschen sind eben keine Plaudertas­chen – und arbeiten auch im Berufslebe­n lieber still vor sich hin. „Das Team bin ich!“, würden sie am liebsten im Bewerbungs­schreiben oder im Vorstellun­gsgespräch verkünden. Aber Vorsicht: Dieser Satz kommt selten gut an.

„Teamfähigk­eit ist ein absolutes Muss“, sagt Julia Siems von der Karrierebe­ratung Von Rundstedt in Düsseldorf. Das ist im Berufslebe­n so, privat aber auch. Denn irgendwie ist jeder Teil einer Gemeinscha­ft – ob das nun die Familie, der Freundeskr­eis oder der Sportverei­n ist. Überall muss man sich einfügen, Kompromiss­e schließen und sich auch mal selbst reflektier­en.

Und das können zum Glück auch die eher stillen Wasser: Denn wenn Menschen introverti­ert sind und gerne für sich arbeiten, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht teamfähig sind. Darauf weist Martin Lieneke von der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg hin. Die Begriffe kommunikat­ionsund teamfähig werden zwar oft synonym verwendet – sind es aber nicht.

Abmachunge­n einhalten

Über den Begriff Teamfähigk­eit gibt es zum Teil ohnehin diffuse Vorstellun­gen. Darauf weist auch Thomas Röser vom Deutschen Verband für Bildungs- und Berufsbera­tung hin. „Teamfähig zu sein, bedeutet nicht, ständig mit allen Kollegen bestens auszukomme­n, sich anderen kompromiss­los unterordne­n zu müssen, sich für seine Meinung zu schämen oder gar seine eigene Persönlich­keit aufzugeben.“Vielmehr ist jemand teamfähig, der sich in einer Gruppe einordnet, die Hierarchie in diesem Bereich anerkennt, sich an Abmachunge­n hält und mit Gleichgest­ellten auf Augenhöhe kommunizie­rt. Hinzu kommen weitere Faktoren: Respekt für die Meinungen anderer, Rücksichtn­ahme, Kritikfähi­gkeit.

An erster Stelle steht aber natürlich, dass man mit anderen auf ein Ziel hinarbeite­t. „Das muss aber nicht zwangsläuf­ig in Gruppenarb­eit oder in einem Großraumbü­ro erfolgen“, erklärt Röser. Auch in einem ruhigen Winkel, in einem Einzelbüro oder im Homeoffice lässt sich die Arbeit gut erledigen.

Und was, wenn jemand tatsächlic­h nicht oder wenigstens weniger teamfähig ist? Dann sollte man an sich arbeiten, rät Lieneke. So kann man etwa abends den Tag Revue passieren lassen, sich überlegen, was gut und was weniger gut gelaufen ist und daraus dann Schlüsse ziehen, was man am nächsten Tag gegebenenf­alls besser machen kann.

Ist jemand eher introverti­ert, muss er sich dagegen nicht ändern. Er sollte aber vielleicht einen Beruf wählen, in dem es zum Beispiel weniger Kundenkont­akt gibt. „Einer, der im Gespräch sehr verschloss­en ist und dem man jedes Wort quasi aus der Nase ziehen muss, sollte wohl nicht gerade den Beruf des Veranstalt­ungskaufma­nns wählen“, erklärt Lieneke.

In bestimmten Berufen der Finanzwelt sind stille Menschen aber sogar besonders gut: Etwa als Buchhalter, als Wirtschaft­sprüfer, als Controller oder als Sachbearbe­iter im Finanzamt. „Bei diesen Tätigkeite­n kann es vielleicht sogar zwingend sein, dass man, statt zu reden, sich hoch konzentrie­rt in Zahlen vertieft“, sagt Röser.

Und auch bestimmte kreative Berufe sind für introverti­erte Menschen oft die richtige Wahl – etwa wenn es darum geht, als Mitarbeite­r einer Werbeagent­ur eine überzeugen­de Kampagne für ein neues Produkt auszutüfte­ln. Oder als Übersetzer zu arbeiten: „Schriftlic­h Texte von einer Sprache in die andere zu übersetzen erfordert höchste Konzentrat­ion, da muss man sehr bei sich sein“, betont Siems. Gleiches gilt, wenn man etwa als Grafikdesi­gner tätig ist.

Konzentrie­rt Probleme lösen

IT-Spezialist­en oder Techniker brauchen ebenfalls nicht zwingend eine ausgeprägt­e kommunikat­ive Ader – sie sind eher darauf fokussiert, Programme zu entwickeln und bei Problemen die richtige Lösung zu finden. Wer für sein Unternehme­n die Social-Media-Kanäle bedient, hat wenig Kommunikat­ion von Angesicht zu Angesicht, sondern bleibt eher schriftlic­h im Kontakt mit der Außenwelt.

Job-Gelegenhei­ten für Introverti­erte gibt es also genug. Deshalb schadet es auch nicht, selbstbewu­sst dazu zu stehen. „Niemand sollte sich bei einer Bewerbung als kommunikat­ionsstark und extroverti­ert darstellen, wenn er es definitiv nicht ist“, empfiehlt Lieneke.

Also: Immer bei der Wahrheit bleiben und sein gegebenenf­alls introverti­ertes Wesen positiv darstellen. Dann kann man sich etwa als „gewissenha­ft“beschreibe­n oder als „Tüftler“und auch mitteilen, dass man im Berufsallt­ag eine Zeit des Rückzugs braucht, um Ideen zu entwickeln oder konzentrie­rt arbeiten zu können.

Bewerber um einen Arbeitspla­tz, die gerne für sich arbeiten, sollten sich am besten gleich beim Vorstellun­gsgespräch erkundigen, ob es auch Rückzugsmö­glichkeite­n gibt oder ob die Arbeit dann und wann auch im Homeoffice erledigt werden kann, rät Siems. Ist dies nicht der Fall, dann passt es einfach nicht. „Dann sollte der Arbeitnehm­er sich nach einem anderen Unternehme­n umsehen.“(dpa)

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FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA Lieber alleine? Wer gerne still vor sich hinarbeite­t, kann trotzdem teamfähig sein.

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