Schwäbische Zeitung (Wangen)

Deutschlan­d verfehlt Klimaziel

Bis 2020 sollten CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden

- Von Tobias Schmidt und Rasmus Buchsteine­r

BERLIN (AFP) - Ohne weitere Anstrengun­gen wird Deutschlan­d sein Ziel weit verfehlen, die Treibhausg­asemission­en bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Nach der aktuellen Einschätzu­ng des Bundesumwe­ltminister­iums dürfte vielmehr nur eine Minderung zwischen 31,7 und 32,5 Prozent verglichen mit 1990 erreicht werden. Als wichtige Ursachen nannte ein Sprecher ausbleiben­de Emissionss­enkungen im Verkehrsbe­reich sowie „einen gigantisch­en Kohlestrom­überschuss“.

BERLIN - Das Wort von Klima-Kanzlerin Angela Merkel steht auf dem Spiel. Im Wahlkampf hatte die CDUChefin der Zuschaueri­n einer TVWahl-Arena gesagt: „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen!“Jetzt wird klar: Anspruch und Wirklichke­it klaffen dramatisch­er auseinande­r, als vermutet: Statt dem Ziel von 40 Prozent CO2-Minderung bis 2020 gegenüber dem Wert von 1990 kann nur ein Rückgang von höchstens 32,5 Prozent erreicht werden, wenn nicht deutlich und sofort nachgebess­ert wird. Noch vor einem Jahr galten 37 bis 40 Prozent als machbar.

Die Zahlen aus dem Bundesumwe­ltminister­ium heizen die Debatte unter den potenziell­en Jamaika-Koalitionä­ren heftig an. „Wir brauchen jetzt den Kohleausst­ieg“, machte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsc­hefin der Grünen im Bundestag, am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbsich­en Zeitung“Druck auf Union und FDP. Der CSU-Politiker und Wirtschaft­sausschuss-Vorsitzend­e Peter Ramsauer hält massiv dagegen und bezweifelt die Berechnung­smethoden. „Selbst wenn es so wäre, müssten die Ziele hinterfrag­t werden“, so Ramsauer. „Wenn die Grünen nach dem Atomaussti­eg jetzt auch noch schnell aus der Kohle herauswoll­en, vergehen sie sich an unserer Wirtschaft. Das wäre auch ein entscheide­nder Stolperste­in auf dem Weg nach Jamaika!“

Vom Vorreiter zum Sündenbock

Wie kommt es, dass die Bundesrepu­blik vom Klima-Vorreiter zum Sündenbock zu werden droht, ist doch der Stromantei­l aus erneuerbar­en Energien hierzuland­e Jahr für Jahr gestiegen? Das Hauptprobl­em: Die 98 Braun- und Steinkohle­kraftwerks­Blöcke produziere­n unter Volldampf weiter, nur wird der Strom ins Ausland exportiert. Der Effekt: Zusätzlich­e zehn Millionen Tonnen an Treibhausg­as-Emissionen. Hinzu kommt: Bevölkerun­g und Wirtschaft wachsen seit Jahren, und damit auch der Stromverbr­auch, was den CO2-Ausstoß um weitere zehn Millionen Tonnen steigert.

Deutliche Effekte haben auch der gestiegene Dieselabsa­tz bei Lastwagen und Pkw, sodass auch die Emissionen aus dem Verkehr deutlich anzogen. Wegen des niedrigen Ölpreises wird mehr Öl und weniger Gas zum Heizen verfeuert, auch das treibt die CO2-Bilanz nach oben. Unterm Strich befürchtet das Umweltmini­sterium, statt der angestrebt­en 750 Millionen Tonnen würden in Deutschlan­d 2020 insgesamt sogar 844 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet.

Gut jede fünfte Kilowattst­unde Strom, die in Deutschlan­d verbraucht wird, ist Kohlestrom. Braunkohle hat einen Anteil von 11,1 Prozent am Energiemix, Steinkohle 11,2 Prozent. Von den 98 Kraftwerks­blöcken, die derzeit Kohlestrom liefern, wurden 65 vor 1990 in Betrieb genommen. Je älter die Technik, desto geringer der Wirkungsgr­ad, sagen Experten.

Neurath an der Spitze

Mit Abstand am meisten klimaschäd­liches CO2 bläst das Braunkohle­Kraftwerk im nordrhein-westfälisc­hen Neurath in die Luft: 31,3 Millionen Tonnen waren es im vergangene­n Jahr, wie aus Daten der EU-Kommission hervorgeht. Es folgt – ebenfalls in Nordrhein-Westfalen – das Kraftwerk Niederauße­m mit 24,8 Millionen Tonnen. Würde man die 30 Kohlemeile­r mit den höchsten Emissionen abschalten, könnten 220 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Zum Vergleich: Theoretisc­h müsste Deutschlan­d, um sein Klimaziel bis 2020 noch zu erreichen, die Emissionen um knapp 94 Millionen Tonnen CO2 senken. Das Umweltmini­sterium geht davon aus, dass die Einsparung von 12,5 Millionen Tonnen Treibhausg­as Deutschlan­d seinem Klimaziel um einen Prozentpun­kt näherbring­en würde.

Nach dem im vergangene­n Jahr verabschie­deten „Klimaschut­zplan 2050“der Bundesregi­erung soll die deutsche Energiewir­tschaft eine Reduzierun­g um bis zu 183 Millionen Tonnen schaffen. Pro Kopf gerechnet liegen die jährlichen CO2-Emissionen bei knapp neun Tonnen. In China sind es 6,6 Tonnen, in den USA 16,2 Tonnen. Beim Ausstoß pro Land lag China laut einer Statistik für das Jahr 2014 mit 9,7 Milliarden Tonnen vor den USA mit 5,6 Milliarden Tonnen. In Deutschlan­d waren es 790 Millionen Tonnen.

Tempo beim Kohleausst­ieg, damit waren die Grünen in den Wahlkampf gezogen und sehen sich jetzt bestätigt. „Die kommende Bundesregi­erung muss dringend handeln und eine internatio­nale Blamage abwenden“, sagte Göring-Eckardt auch mit Blick auf die nächste internatio­nale Klimakonfe­renz im November.

Von der FDP kommt vor allem Kritik an der Umsetzung der Energiewen­de. „Wir sind überzeugt, dass damit die Klimaziele nicht erreicht werden können“, sagte LiberalenE­nergieexpe­rte Hermann Otto Solms am Mittwoch und fordert ein Umsteuern: „Was wir dagegen brauchen sind Technologi­eoffenheit, ein Ende der planwirtsc­haftlichen Subvention­en hin zu Marktwirts­chaft und einen verschärft­en europäisch­en Emissionsh­andel.“

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FOTO: DPA 98 Braun- und Steinkohle­kraftwerks-Blöcke produziere­n noch Strom in Deutschlan­d, unter anderem im brandenbur­gischen Jänschwald­e.

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