Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die mutmaßlich­en Bandenkrie­ger schweigen

Seit Mittwoch stehen acht Mitglieder der als kurdisch eingestuft­en Gruppierun­g „Bahoz“wegen eines Überfalls in Ulm vor Gericht

- Von Erich Nyffenegge­r

ULM - Nein, eine einheitlic­he Kleidungss­trategie scheinen sie nicht zu haben, die Angeklagte­n. Während der eine sich für ein strahlend weißes Oberhemd entschiede­n hat, zieht ein anderer es vor, in komplett schwarzer Trainingsb­ekleidung zu erscheinen. Gerade so, als sei er zufällig von seiner morgendlic­hen Laufrunde ins Landgerich­t Ulm abgebogen, um im Sitzungssa­al Nummer 126 Platz zu nehmen, wo es um 9.30 Uhr allein wegen der insgesamt acht Beschuldig­ten, deren Anwälten, den Vertretern der Staatsanwa­ltschaft sowie den Richtern zu einer gewissen Enge kommt. Fast 30 Prozessbet­eiligte füllen den Raum. In den hinteren Reihen des Zuschauerb­ereichs verteilen sich reichlich Polizisten. Ansonsten ist das allgemeine Zuschaueri­nteresse gering: Lediglich zwei Rentner sitzen da und hoffen auf einen kurzweilig­en Vormittag. Das daraus nichts wird, können die beiden bei Prozessbeg­inn noch nicht wissen.

Traumatisi­ertes Opfer

Und wie das vor Gericht oft so ist, sehen die jungen Männer im Alter von 25 und 32 Jahren harmloser aus, als es das beträchtli­che Aufgebot an Polizisten in und rund um das Gebäude des Landgerich­ts vermuten lässt. Die meisten sind von normaler Statur, einige tragen gepflegte Vollbärte, die Haare sind schwarz. Eine Ausnahme ist ein muskelbepa­ckter Angeklagte­r, der nicht zuletzt durch seinen martialisc­hen Gang die Blicke auf sich zieht. Nach Überzeugun­g der Behörden gehören die Männer zu einer rockerähnl­ichen Straßenban­de, die sich selbst „Bahoz“nennt und kurdisch-linksorien­tiert sei. Die Einlasskon­trollen sind streng. Keine Tasche kommt ungefilzt in den Sitzungssa­al. Ebendort verliest der Staatsanwa­lt jetzt die Anklagesch­rift, die ein hässliches Bild der Männer zeichnet, die dort vor den Richtern teils angespannt, teils betont lässig Platz genommen haben.

Schwörmont­ag, 2016 in Ulm: Für die Bürger ist es der höchste Feiertag. Die Innenstadt ist zu diesem Anlass traditione­ll überfüllt. Die Ausläufer der Feiern erstrecken sich auf fast alle Straßen und Gassen von Ulm. Nicht anders ist das auf der Straße Hafenbad, wo es ebenfalls vor Menschen wimmelt. Umso größer ist das Chaos, als gegen 18.50 Uhr plötzlich eine Gruppe von mindestens 15 vermummten Männern, bewaffnet mit Steinen und Flaschen, auftaucht und damit einen Schnellimb­iss angreift. Im Jargon der Juristen heißt das gemeinscha­ftlicher Landfriede­nsbruch sowie gemeinscha­ftliche gefährlich­e Körperverl­etzung. Als die Steine und Flaschen fliegen, versuchen die Gäste vor und im Imbiss zu fliehen. Aber das gelingt nicht allen. Mindestens einer zieht sich durch einen gezielten Flaschenwu­rf eine blutige Platzwunde am Hinterkopf zu. Eine junge Frau, die in der Gaststätte zum Zeitpunkt des Angriffs aushilft, leidet Todesängst­e, wie der Staatsanwa­lt betont und hat bis heute mit einer posttrauma­tischen Belastungs­störung zu kämpfen. Der materielle Schaden an Schaufenst­ern und Beleuchtun­g beläuft sich auf rund 8000 Euro. Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Imbiss eine Art Treffpunkt für eine türkisch-nationalis­tische Gruppierun­g im Umfeld des „Osmanen Germania Box-Clubs“ist. Zuvor soll es im Internet zwischen beiden verfeindet­en Banden zu Provokatio­nen gekommen sein, die schließlic­h am Schwörmont­ag eskalierte­n.

Räuberisch­e Erpressung

Zwei der acht Angeklagte­n wirft die Staatsanwa­ltschaft noch mehr vor: Sie sollen im Herbst 2016 einen Kameraden, den sie des Verrats verdächtig­en, vor seiner Wohnung gestellt, gewürgt und mit einem Messer bedroht haben: „Entweder du zahlst 1000 Euro, oder du wirst in Ulm nicht mehr ruhig leben. Wir verwüsten deine Wohnung und bringen dich und deine Freundin um“, zitiert der Staatsanwa­lt aus der Anklagesch­rift. Doch anstatt zu zahlen, ging der Bedrohte zur Polizei – was den beiden Beschuldig­ten vor Gericht den Vorwurf der schweren versuchten räuberisch­en Erpressung einbringt.

Im Schwurgeri­chtssaal hallen die Ereignisse von Sommer und Herbst nicht hörbar nach. Im Gegenteil: Sechs Anwälte geben zu Protokoll, dass ihre Mandanten zu den Vorwürfen schweigen. Zwei Verteidige­r geben Erklärunge­n ab: „Mein Mandant ist albanische­r Staatsbürg­er und war zum Zeitpunkt des Angriffs am Marktplatz. Er hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.“Ein weiterer Strafverte­idiger, der überhaupt die Existenz der Straßenban­den infrage stellt, serviert dem Gericht ein Alibi und nennt zwei Zeugen aus Zürich, die den fraglichen Angeklagte­n zum Zeitpunkt des Schwörmont­ags bei sich in der Schweiz zu Gast gehabt haben wollen.

Langwierig­er Prozess erwartet

Der Vorsitzend­e Richter vertagt den Prozess auf den 25. Oktober. Dann wird die Strafkamme­r die ersten von insgesamt 52 Zeugen anhören. Für die Angeklagte­n stehen mehrjährig­e Gefängniss­trafen auf dem Spiel. Das Landgerich­t hat für das Verfahren neun Verhandlun­gstage angesetzt. Einer der Strafverte­idiger sagt nach der Verhandlun­g vor dem Saal hinter vorgehalte­ner Hand: „Das wird eine langwierig­e Angelegenh­eit. Das Beweismate­rial ist sehr dünn. Das ist auch der Grund, warum von den mindestens 15 Angreifern überhaupt nur acht angeklagt sind.“Der Jurist rechnet fest mit Freisprüch­en aus Mangel an Beweisen – zumindest zugunsten seines Mandanten. In der Verhandlun­g hatte der Richter festgehalt­en, dass es zwischen Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­rn „keine verfahrens­abkürzende­n Absprachen“gegeben habe. Also kein Handel, wie sie sonst oft üblich sind, um einen langwierig­en Prozessver­lauf zu vermeiden. Dazu sagt ein Strafverte­idiger hinterher: „Die wären auch schön blöd, sich ohne echte Beweise auf so etwas einzulasse­n.“

Und so scheint es, dass die jungen Männer den Gerichtssa­al am gestrigen Mittwoch nach weniger als einer Stunde Verhandlun­gsdauer fast entspannte­r verlassen, als sie ihn betreten haben.

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FOTO: JULIA GÖLTENBOTH Kurzer Prozess am Landgerich­t Ulm – zumindest am ersten Verhandlun­gstag, da sich die Angeklagte­n zu den Vorwürfen nicht äußern.
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FOTO: LUDGER MÖLLERS Den materielle­n Schaden durch den Angriff in Ulm beziffern die Behörden auf rund 8000 Euro.
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FOTO: DPA Rund 100 Mitglieder sollen die „Osmanen“laut Landeskrim­inalamt Stuttgart in Baden-Württember­g zählen.

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