Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hollywood-Skandal zieht Kreise

Immer mehr Prominente wenden sich von Filmproduz­ent Harvey Weinstein ab

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Nachdem die „New York Times“enthüllt hatte, wie der amerikanis­che Filmproduz­ent Harvey Weinstein seine Machtposit­ion ausnutzte, um Frauen zu sexuellen Gefälligke­iten zu nötigen, hat nun auch die Prominenz Hollywoods ihr Schweigen gebrochen. In den USA ist eine Debatte über Sexismus am Arbeitspla­tz entbrannt.

Gwyneth Paltrow war 22, als ihr Weinstein eine Rolle antrug, mit der sie in die erste Liga des Kinos aufsteigen würde, die Hauptrolle in der Jane-Austen-Verfilmung „Emma“. Bevor die Dreharbeit­en begannen, bat er sie in ein Hotelzimme­r in Beverly Hills. Er habe sie angefasst und sie gedrängt, mit ihm für Massagen ins Schlafzimm­er zu gehen. „Ich war noch ein Kind, ich stand unter Vertrag, ich war starr vor Angst“, schildert die Schauspiel­erin ihre Gefühlswel­t. Sie habe, so erzählte sie es der New-York-Times-Redakteuri­n Jodi Kantor, seine Avancen abgewehrt und sich kurz darauf Brad Pitt anvertraut, ihrem damaligen Freund. Der habe den Mann auf einer Party zur Rede gestellt, worauf Weinstein sie anrief, um ihr in drohendem Unterton zu raten, niemanden sonst einzuweihe­n. Sie habe gedacht, er würde sie feuern, erinnert sich Paltrow. Auch Angelina Jolie hat Ende der 1990er-Jahre, als ihre Karriere in Fahrt kam, schlechte Erfahrunge­n mit Weinstein gemacht. Auch ihr habe er sich in einer Suite auf zudringlic­he Weise genähert, schreibt sie in einer E-Mail an Kantor. Danach habe sie nie wieder mit ihm gearbeitet – und andere gewarnt.

Während kaum ein Tag vergeht, an dem die Erzählunge­n über den sexsüchtig­en Mogul nicht um eine verstörend­e Episode ergänzt werden, tritt die Filmbranch­e die Flucht nach vorn an. Als könne es gar nicht schnell genug gehen, sich zu trennen von einem eben noch Gefeierten, über den Meryl Streep bei einer Preisverle­ihung mehr oder weniger augenzwink­ernd sagte, dass sie „Gott, Harvey Weinstein“danken wolle. Der Aufsichtsr­at der Weinstein Company, des Studios des Entzaubert­en, hat bereits zwei Werbeagent­uren damit beauftragt, einen neuen Firmenname­n zu finden. Die Filmfakult­ät der University of Southern California verzichtet dankend auf eine Fünf-Millionen-DollarSche­nkung. Weinsteins Ehefrau, die 41-jährige Designerin Georgina Chapman, lässt wissen, dass sie die Scheidung anstrebt. Am Sonntag erhielt er von seinem Filmstudio The Weinstein Company (TWC), das er zusammen mit seinem Bruder Bob gegründet hat und an dem die beiden noch 42 Prozent Anteile halten, die Entlassung. Die britische Filmakadem­ie Bafta suspendier­te Weinsteins Mitgliedsc­haft am Mittwoch.

Öffentlich­er Bruch mit Mäzen

Nach Tagen des Schweigens gehen auch Politiker auf Distanz, die am meisten von den Spenden des Kinomanns profitiert­en, der sich als progressiv­er Ratgeber der Demokraten verstand. Barack Obama wie Hillary Clinton haben öffentlich mit dem Mäzen gebrochen. Wer Frauen derart erniedrige, müsse angeprange­rt und zur Rechenscha­ft gezogen werden, unabhängig von Vermögen und Status, erklärten die Obamas, Barack und Michelle. Deren Tochter Malia absolviert­e einst ein Praktikum bei Weinstein. Clinton kommentier­t, sie sei schockiert und angewidert.

Amerika diskutiert über die Kultur der Traumfabri­k, bei der mächtige Männer älterer Jahrgänge auf junge Frauen treffen, die genau wissen, was für Steine ihnen die Halbgötter in den Weg legen können. Es habe sich angefühlt wie beim Duell David gegen Goliath, zitiert der Journalist Ronan Farrow, der Sohn Mia Farrows und Woody Allens, eine von Weinstein belästigte Angestellt­e. Ein typischer Fall: Als sie zu einem vermeintli­chen Arbeitsfrü­hstück erschien, stand er plötzlich im Bademantel vor ihr. Das Schweigen der Untergeben­en erkaufte er sich durch eine Vereinbaru­ng, die sie im Tausch gegen eine hübsche Dollarsumm­e verpflicht­ete, das Geschehene für sich zu behalten. „David gegen Goliath. Da war dieser Kerl mit all seinem Geld, seinen Anwälten“, zitiert Farrow die Frau. „Er ließ seine Muskeln spielen und schüttelte alles ab, was ich ihm vorgeworfe­n hatte.“

Weinstein sei ja in aller Regel nicht auf Heldinnen getroffen, sondern auf normale Menschen, „wundervoll und komplizier­t und auf einmal gezwungen, Entscheidu­ngen zu treffen, die sie ein Leben lang begleiten würden“, bringt es die Drehbuchau­torin Liz Meriwether in der Zeitschrif­t „New York“auf den Punkt. Sie zum Beispiel habe nicht energisch genug widersproc­hen, als er sie bedrängte. „Ja, ich bin ein Feigling, aber eines steht fest: Schuld ist der Mann im Hotelzimme­r.“

 ?? FOTO: DPA ?? Auch Gwyneth Paltrow belastet Harvey Weinstein. Die Aufnahme entstand 2002 – ein paar Jahre zuvor soll er sie belästigt haben.
FOTO: DPA Auch Gwyneth Paltrow belastet Harvey Weinstein. Die Aufnahme entstand 2002 – ein paar Jahre zuvor soll er sie belästigt haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany