Erster Erntewagen wird stürmisch gefeiert
SZ-Serie zur „Blickpunkte-Ausstellung“– Heute: 1817 – Hungerjahr und Erntefest
WANGEN (sz) - Wangen blickt dieses Jahr auf einige Jahrhundertjubiläen seiner Geschichte zurück. Als „Blickpunkte“sind sie noch bis Ende Oktober in einer Ausstellung im Stadtmuseum zu einer Gesamtschau zusammengeführt. Nachdem über einige dieser prägenden Ereignisse der Stadtgeschichte bereits ausführlich berichtet wurde, veröffentlicht die SZ in einer kleinen Serie weitere Wangener „Blickpunkte“aus den 17er-Jahren mit Texten aus dem Stadtarchiv. Heute: 1817 – Hungerjahr und Erntefest
Am 6. August 1817 wurde der erste Erntewagen mit geladenen Garben auf dem Marktplatz feierlich begrüßt. Damit endete eine der schlimmsten Hungerkrisen in der Geschichte Wangens. Zum „ewigen Andenken“der Bürger und Landleute des Königlichen Oberamts Wangen verlegte der Wangener Buchbinder Philipp Schnitzer eine ausführliche Beschreibung dieses Erntefestes.
Vulkanausbruch und seine Folgen
Was man damals noch nicht wissen konnte: Am 5. April 1815 begann der Vulkan Tambora (östlich von Java im heutigen Indonesien) am anderen Ende der Welt in 12 000 Kilometer Entfernung Feuer zu speien. Die über mehrere Tage freigesetzte Energie entsprach 170 000 Hiroshima-Bomben. 150 Kubik-Kilometer flüssiges Gestein und Asche wurden in die Atmosphäre geschleudert. Die Säule ragte 43 Kilometer in den Himmel. Der Vulkanberg schrumpfte dabei von 4300 auf 2850 Meter. Die aufgestiegenen Schwefel-Aerosolwolken blieben über viele Monate in der Stratosphäre und legten sich wie ein Schleier rund um die Erde. Ihr Dunstschleier absorbierte das Sonnenlicht. Die negativsten Folgen zeitigte dieses Naturphänomen aber im Jahr 1816, das hierzulande als „das Jahr ohne Sommer“in die Geschichte einging. Im Juni setzte nicht enden wollender Dauerregen ein. Man zählt 157 Regentage, auf den Feldern gedieh so gut wie nichts.
Die Missernte 1816 führte zu einer immensen Teuerung und starkem Getreidewucher. An Stelle von Gemüse kochten die Ärmsten Wurzeln, Gras und Heu. Das Mehl wurde durch Kleie, Mehlstaub und sogar durch Sägemehl ersetzt. Das Brot streckte man mit geschabten Rüben, Stroh und Holz. Die Hungernden sollen mancherorts sogar die Kadaver verendeter Pferde wieder ausgegraben und verzehrt haben. Besonders betroffen waren die Schweiz, Österreich, Baden und Württemberg. Die Not erzeugte eine Auswanderungswelle aus Württemberg und Baden nach Russland und Amerika.
Ölbild im historischen Ratssaal
Erst die Ernte des Sommers 1817 wendete die allgemeine Not. Als in Wangen unter dem Geläut aller Kirchenglocken der erste reich bekränzte Erntewagen mit schwerem Korn einfuhr, feierte man ein Dankesfest, an das man sich ewig erinnern wollte. In Wangen erinnern eine gedruckte Denkschrift und ein Ölbild im historischen Ratssaal an das große Erntefest am 6. August 1817. Die Ortskulisse zeigt den Marktplatz, der von der Stadtpfarrkirche St. Martin dem Pfarrhaus und dem Gasthaus Engel mit seinem Staffelgiebel begrenzt wird. Auf der linken Seite ist die Rathausfassade mit ihrer bekrönenden Herkules-Statue frontal ins Bild gedreht. Aus den auf dem Marktplatz versammelten Menschengruppen ragen einzelne Personen entsprechend ihrer Bedeutung in überproportionierter Darstellung heraus, wie beispielsweise der Oberamtmann vor dem Rathaus. Rechts unten wird der mit Sinnsprüchen reich verzierte Erntewagen von 17 Männern gezogen.
Auf der Kirchenmauer ist eine Außenkanzel aufgebaut, auf der Vikar Schaaf die geistliche Dankespredigt hält. An ihrer roten Drapierung ist der Ährenkranz angebracht. Auf der roten Bühne darunter sind die als Schnitter gekleideten Kinder zu erkennen. Vor der Bühne hat sich die Stadtmusik und der Kirchenchor mit den Musiknoten postiert. Rechts der Bühne stehen die Honoratioren der Stadt, dahinter schreitet Stadtpfarrer Gebhard Weiß mit Kreuz- und fahnentragenden Ministranten aus dem Kirchhofbezirk. Auf der rechten Seite und vor dem Rathaus ist die Volksmenge und die Lehrer mit ihren Schülern angedeutet, als Platzordner sind Männer in Soldatenuniform zu sehen.
Das Bild hat beim näheren Betrachten noch viele interessante Details. Beispielsweise den Bettler am Rathausecke, die Kapuzinermönche, die württembergischen rot-schwarzen Fähnlein oder die Glocke oben in den Kirchturmöffnungen. Die Feier wurde ja von dem Geläut der Glocken und dem Abfeuern der Böllergeschütze begleitet. Dazu heißt es: „Alles strömte mit dem Zuge, selbst der gebrechliche Greis wurde jünger; Alles entblößte sein Haupt, und sah mit frommen tränenden Blicken zum Himmel und eine feierliche Stille erhob den Gesang der Kinder empor zu dem Throne des Höchsten...“.
Zum „Hungerjahr“und dem Erntefest vor 200 Jahren gibt es heuer wieder ein Stadtschauspiel. Es trägt den Titel „Wangen 1817 – unser tägliches Brot“und hat am 23. November, 20 Uhr, Premiere in der Stadthalle. Eine weitere Aufführung ist am 25. November, ebenfalls um 20 Uhr. Karten im Vorverkauf gibt es online über reservix.de, an allen Reservix-Vorverkaufsstellen oder im Gästeamt Wangen.