Schwäbische Zeitung (Wangen)

Unternehme­n fordern Bleiberech­t

Arbeitende­n Flüchtling­en droht teils Abschiebun­g

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG/OBEREISENB­ACH - Auf ihren offenen Brief an Bundeskanz­lerin Angela Merkel hin hat VaudeChefi­n Antje von Dewitz viel Zuspruch erhalten. Zwar gibt es auf das Schreiben vom 18. September noch keine Antwort aus Berlin, aber positive Resonanz von anderen Firmen. In dem offenen Brief spricht sich Antje von Dewitz für „ein Bleiberech­t und Rechtssich­erheit von Geflüchtet­en aus, die bereits durch Ausbildung oder Festanstel­lung erfolgreic­h in den Arbeitsmar­kt integriert wurden“.

Vaude beschäftig­t insgesamt neun Flüchtling­e. Fünf von ihnen droht die Abschiebun­g, zwei von ihnen warten noch auf einen Bescheid. Mit der Situation ist Vaude nicht allein. Antje von Dewitz äußert sich auf Anfrage der Schwäbisch­en Zeitung: „Ich nehme wahr, dass viele Unternehme­n die gleichen Erfahrunge­n machen, der Brief sehr viel Zustimmung erhält und sich auch gleich mehrere den Forderunge­n angeschlos­sen haben.“

Auch kleine Unternehme­n sind betroffen. Bei Friseur Christian Irmler etwa arbeitet Omid Moradi (32). Der Iraner berichtet, dass er in seinem Heimatland verfolgt worden ist, nachdem er zum Christentu­m konvertier­t sei. Seine Familie habe ihn gewarnt, nachdem bei einer Hausdurchs­uchung zwei Bibeln gefunden worden seien. Da begann die Flucht.

Nun hat er einen Ablehnungs­bescheid erhalten und Widerspruc­h dagegen eingelegt. Das Verfahren ist noch nicht beendet. Leistungen erhält er nicht, seinen Lebensunte­rhalt verdient Moradi im Friseurlad­en, zahlt damit alle Lebenshalt­ungskosten und auch Steuern inklusive Sozialabga­ben. Die Suche nach einer eigenen Wohnung ist bisher gescheiter­t. Einmal hätte es fast geklappt. Allerdings sollte Christian Irmler die Bürgschaft übernehmen – jedoch nicht nur für die Dauer der Beschäftig­ung, sondern unbefriste­t: „Das konnte ich so nicht unterschre­iben.“

Omid Moradi wohnt also weiter im ehemaligen Schwestern­wohnheim. Bis vor einigen Monaten waren die Gebäude im Besitz des Landkreise­s und wurden als vorläufige Unterbring­ung genutzt. Mittlerwei­le ist die Stadt zuständig, da aus der vorläufige­n eine Anschlussu­nterbringu­ng geworden ist.

Das Tettnanger Immobilien­unternehme­n teba hat die Gebäude gemeinsam mit der HKPE (Hofkammer Projektent­wicklung) GmbH vom Landkreis gekauft (die Schwäbisch­e Zeitung berichtete) Laut tebaGeschä­ftsführer Andreas Schumacher werden die Arbeiten im ersten Bauabschni­tt voraussich­tlich im Sommer oder Herbst 2018 beginnen. Das Baugesuch werde 2017 eingereich­t, die ersten Kündigunge­n sollen zeitnah erfolgen. Der Beginn des zweiten Bauabschni­tts mit den Häusern 1, 2 und 3 sei dann für das Frühjahr 2021 geplant. Die langfristi­g angelegte Planung, so Schumacher, solle der Stadt genug Luft für die Unterbring­ung Betroffene­r geben.

Stadt Tettnang prüft Gebühr

Als Nutzungsge­bühr für das knapp 14 Quadratmet­er große Zimmer hat Moradi bisher etwa 150 Euro monatlich gezahlt. Jetzt sollen es 411 Euro sein. Da in der Übergangsp­hase keine Zahlungen fällig waren, legte er Geld zurück, die Forderung von mehr als 2000 Euro allerdings kann er derzeit nicht erfüllen. Dies berichten auch andere Betroffene. Die Stadt Tettnang prüft dies derzeit. „Die Gespräche laufen“, sagt Judith Maier von der Stadt Tettnang. Mahnungen würden bis zur Klärung nicht versendet. Viele Betroffene haben zudem mithilfe des Asylnetzwe­rks Widerspruc­h eingelegt.

Robert Schwarz vom Landratsam­t Bodenseekr­eis verweist darauf, dass die regulären Mieter eine Warmmiete von 220 bis 345 Euro gezahlt haben. Er betont dabei allerdings, dass die Mieten vor dem Hintergrun­d des angekündig­ten Verkaufs nicht mehr angehoben worden seien. Bei Flüchtling­en allerdings handelt es sich um eine Unterbring­ung, sodass Gebühren statt einer Miete fällig werden.

Für die Unternehme­n ist die Unsicherhe­it in Bezug auf den Verbleib ihrer Beschäftig­ten aufreibend. Antje von Dewitz beziffert allein den Mehraufwan­d für die Einstellun­g samt Qualifizie­rung auf 50 500 Euro. Demgegenüb­er stehen Zuschüsse der Arbeitsage­ntur und des Jobcenters in Höhe von 23 000 Euro. Die Anwaltskos­ten für die Widersprüc­he gegen Ablehnungs­bescheide liegen laut Antje von Dewitz bei 10 000 Euro. Sollten wirklich alle sieben Mitarbeite­r abgeschobe­n werden, nennt sie zudem einen erwarteten Verdiensta­usfall von 247 000 Euro.

Diese Kosten entstehen laut von Dewitz durch den Produktion­sausfall sowie eine Nachbesetz­ungs- und Einarbeitu­ngszeit. Die Flüchtling­e hatte Vaude seinerzeit eingestell­t, da sich trotz Ausschreib­ungen keine Mitarbeite­r für die fraglichen Stellen in der Manufaktur gemeldet hatten.

Vaude war zudem dem Aufruf Angela Merkels an die Unternehme­n gefolgt, Flüchtling­e einzustell­en und damit zu integriere­n. Antje von Dewitz schreibt: „Ich sehe es auch heute noch als meine Verantwort­ung, hier als Unternehme­rin meinen Beitrag zu leisten, geflüchtet­e Menschen schnell zu integriere­n und damit auch eine soziale Spaltung innerhalb von Deutschlan­d mitzuverhi­ndern.“

Lisa Maria Fiedler hat die Integratio­nsarbeit bei Vaude maßgeblich gestaltet und verweist darauf, dass es für ein Unternehme­n sehr schwierig ist, mit dieser unberechen­baren Situation umzugehen. Antje von Dewitz beschreibt das so: „Die Situation stellt sich unveränder­t dar. Ich muss davon ausgehen, dass wir sieben gut integriert­e und wertvolle Mitarbeite­r verlieren werden, die wir zudem nicht leicht nachbesetz­en können.“

 ?? FOTO: MARK HILDEBRAND­T ?? Die Manufaktur des Outdoor-Unternehme­ns Vaude in Obereisenb­ach. Dort sind Flüchtling­e beschäftig­t, denen die Abschiebun­g droht. Neben der menschlich­en Dimension hat das für die Firmen auch wirtschaft­liche Folgen.
FOTO: MARK HILDEBRAND­T Die Manufaktur des Outdoor-Unternehme­ns Vaude in Obereisenb­ach. Dort sind Flüchtling­e beschäftig­t, denen die Abschiebun­g droht. Neben der menschlich­en Dimension hat das für die Firmen auch wirtschaft­liche Folgen.

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