Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Den Nomaden bricht die Lebensgrun­dlage weg“

25-jähriger Ravensburg­er dreht drei Wochen lang Dokumentar­film in Afghanista­n – Ziel ist bessere Bildung

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RAVENSBURG - Im März ist er das erste Mal bei Nomaden in Afghanista­n gewesen – am 25. Oktober geht es für den Ravensburg­er Beat Sandkühler (25) erneut drei Wochen lang dorthin. Mit drei weiteren Mitglieder­n des von ihm mitgegründ­eten Vereins Amuza will Sandkühler, der momentan in Kassel Produktdes­ign studiert, die Existenzpr­obleme der dortigen, Kutschi genannten Nomaden in einem Dokumentar­film festhalten. Um das Ganze stemmen zu können, braucht es noch Sponsoren. Ruth Auchter hat nach Details des Projektes gefragt.

Eigentlich geht es Ihrem Verein darum, die interkultu­rellen Kontakte zwischen Füchtlings- und deutschen Kindern zu fördern. Warum engagiert sich Amuza nun so intensiv in Afghanista­n?

Hamid Aaqil Shah, einer unserer Gründungsm­itglieder, stammt selbst aus einer Kutschi-Familie in Afghanista­n. Ihm liegt es am Herzen, einerseits auf die prekären Lebensbedi­ngungen der Kutschi aufmerksam zu machen, und anderersei­ts ihre Situation vor Ort zu verbessern. Mit 54 Prozent haben die Kutschi die höchste Armutsrate in Afghanista­n. Außerdem ist das Bildungsni­veau erschrecke­nd niedrig: Nur zwei Prozent der Männer und 0,5 Prozent der Frauen können lesen und schreiben. Lediglich 6,6 Prozent der nomadische­n Jungs und 1,8 Prozent der Kutschi-Mädchen besuchen eine Schule.

Warum geht es den Nomaden in Afghanista­n so schlecht?

Da sie früher mit ihren Ziegen, Schafen und Kühen umhergezog­en sind, haben die Kutschi über Jahrhunder­te hinweg ein ausgeprägt­es Wissen über Handwerk, Tiere und Natur beziehungs­weise Naturheilk­unde entwickelt. Traditione­ll haben sie auch alles von den Tieren benutzt und verkauft – etwa Käse oder Kleidung aus Schafwolle. Mehr und mehr bricht ihnen aber ihre Lebensgrun­dlage weg: Die Nomaden werden teilweise selbst sesshaft und wollen dann (wie andere Farmer) nicht mehr, dass die Karawanen ihre Tiere dort weiden lassen. Durch die Globalisie­rung gerät der alt hergebrach­te Karawanen-Tauschhand­el zudem immer mehr ins Hintertref­fen; hinzu kommen sinkende Preise für Handwerkli­ches durch die Konkurrenz ausländisc­her Industriep­rodukte. Bei unserer Reise im Frühjahr haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Kutschi ihre Rechte oft gar nicht kennen. Es wird häufig unter katastroph­alen Bedingunge­n unterricht­et: Es fehlt an Türen, Fenstern, Strom, ausgebilde­tem Lehrperson­al oder Unterricht­smateriali­en, manchmal gibt es nicht mal ein Gebäude. Mit unserem Film wollen wir den Status Quo dokumentie­ren und eine Grundlage für effektive Entwicklun­gszusammen­arbeit schaffen.

Gibt es nicht schon Entwicklun­gshilfepro­jekte?

Doch schon, aber da fließt häufig lediglich Geld, und das oft in die falschen Taschen. Wir favorisier­en einen anderen Ansatz: Man sollte versuchen, die Kutschi in die heutige Welt einzubinde­n. Dazu braucht es zuallerers­t Bildung. Wir werden versuchen rauszufind­en, welche Art Bildung Sinn machen könnte – damit die Kutschi etwa ihre Produkte vermarkten und sich für ihre Rechte einsetzen, eben ihren Handlungss­pielraum erweitern können. Da sie jedes Jahr nach sechs Monaten vom Sommer- ins Winterquar­tier wechseln, ein Schuljahr in Afghanista­n aber neun Monate dauert, verpassen die Kinder immer einen Haufen und fallen irgendwie hinten runter. Da könnte es ein Ansatz sein, Kutschi-Jugendlich­e als Lehrer auszubilde­n, die dann mit den Karawanen ziehen. Uns ist es sehr wichtig, das Selbstbewu­sstsein junger Kutschi zu stärken.

Wie wollen Sie das anstellen?

Beispielsw­eise, indem wir pfadfinder­ähnliche Netzwerk-Strukturen aufbauen. Ich war selbst jahrelang bei den Ravensburg­er Edelweißpi­raten, ein politisch und konfession­ell unabhängig­er Stamm des Pfadfinder­bunds Horizonte. Da habe ich gelernt, von früh auf Verantwort­ung für andere, auch Jüngere, zu übernehmen. Ich kann mir vorstellen, dass so etwas auch bei Nomaden-Jugendlich­en dazu führt, dass sie spüren, was sie drauf haben.

Was soll der Film bewirken? Touren Sie damit durch die Republik, sind Nachfolgep­rojekte geplant?

Bislang gibt es wenig Filmmateri­al über Nomaden unter dem Blickwinke­l Bildung: Wir wollen beobachten, sichtbar machen und den Film dann einem möglichst breiten Publikum zeigen, etwa bei Festivals. Auch die Linse Weingarten wäre ein idealer Ort für den Film. Wir möchten mit den Leuten ins Gespräch kommen und hoffen, dass sich viele mit uns für die Kutschi engagieren. Abgesehen von Projekten, die man anstoßen kann, wäre auch denkbar, dass Kutschikin­der und -jugendlich­e mal nach Deutschlan­d kommen, um hier eine ganz andere Welt zu erleben.

2000 Euro haben Sie für Ihr Filmprojek­t schon...?

Wir brauchen 8000 Euro und hoffen noch auf Spenden.

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FOTO: BEAT SANDKÜHLER So sieht Schule aus, wenn Nomadenkin­der in der Wüste Afghanista­ns unterricht­et werden.
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FOTO: PRIVAT Beat Sandkühler.

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