Österreich rutscht nach rechts
Konservative ÖVP mit Kandidat Kurz gewinnt die Wahl vor der rechtspopulistischen FPÖ
WIEN (dpa) - Machtverschiebung in Österreich: Konservative und Rechtspopulisten vereinen bei der Parlamentswahl zusammengerechnet mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich. Die konservative ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz hat die Parlamentswahl am Sonntag klar gewonnen. Die ÖVP kommt laut des vorläufigen amtlichen Endergebnisses (noch ohne Briefwahl) auf 31,4 Prozent der Stimmen, ein Plus von fast acht Prozent gegenüber 2013. Danach folgt die rechtspopulistische FPÖ. Sie legt ebenfalls deutlich zu und kommt auf 27,4 Prozent (2013: 20,5 Prozent). Die sozialdemokratische SPÖ unter Kanzler Christian Kern, die bislang stärkste Kraft, kommt nur noch auf Rang drei. 26,7 Prozent der Stimmen bedeuten einen neuen Negativrekord. Selbst wenn die Sozialdemokraten nach der Auszählung der Briefwahlstimmen noch an der FPÖ vorbeiziehen sollten: Die Alpenrepublik rutscht nach rechts.
Nach dem Bruch der zerstrittenen Koalition aus SPÖ und ÖVP im Mai waren die vorzeitigen Wahlen nötig geworden. Regulärer Wahltermin wäre erst in einem Jahr gewesen.
„Das ist unsere Chance für echte Veränderung in diesem Land“, sagte Kurz nun am Sonntagabend vor begeisterten Anhängern. Mit der Rückendeckung der Wähler wolle er einen neuen politischen Stil etablieren. „Ich nehme diese Verantwortung mit großer Demut an“, sagte er. Sollte er Kanzler werden, wäre Kurz der jüngste Regierungschef in Europa. Der 31-jährige Außenminister war seit Monaten in Umfragen als Favorit gehandelt worden. Er steht für einen strengen Migrationskurs und will die illegale Zuwanderung auf Null begrenzen.
Heinz-Christian Strache, Chef des möglichen ÖVP-Regierungspartners FPÖ, hatte sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, dass Österreich Teil der Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien) wird, die für eine restriktive Flüchtlingspolitik und das Pochen auf Nationalinteressen stehen.
Nach ihrem Rekordergebnis von 12,4 Prozent vor vier Jahren stürzen die Grünen diesmal ab: Sie kommen nur noch auf 3,3 Prozent und haben den Wiedereinzug ins Parlament verpasst. Ins Parlament schaffte es hingegen die erstmals angetretene Liste des Grünen-Abtrünnigen Peter Pilz mit 4,1 Prozent. In Österreich gilt eine Vier-Prozent-Hürde. Diese übersprangen die liberalen Neos. Sie erreichten wie 2013 5,0 Prozent.
Sollte es zur ÖVP/FPÖ-Regierung kommen, wird Österreich bei der EU-Reform und in Migrationsfragen einen völlig anderen Kurs als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vertreten. Kurz und Strache sind sich einig, dass die EU sich auf Kernaufgaben beschränken sollte. In Flüchtlingsfragen setzen beide auf einen harten Kurs. Österreich hat in der zweiten Jahreshälfte 2018 den EURatsvorsitz.
WIEN - Sicher ist am späten Wahlsonntag-Abend nur der Sieg des 31-jährigen Sebastian Kurz. Sicher ist auch, dass die Mehrheitsverhältnisse im neuen Nationalrat (Parlament) andere sein werden als bei der letzten Wahl 2013. Ein endgültiges Wahlergebnis könnte erst am Dienstag vorliegen, die Auszählung der rund 900 000 Briefwahlkarten – so viele wie nie zuvor – könnten noch Mandate verschieben. Klar ist: Nahezu 60 Prozent der 6,4 Millionen stimmberechtigten Österreicher haben dem Land einen Rechtsruck beschert.
Kurz, seit vier Jahren Außenminister und erst seit drei Monaten Parteichef der Konservativen (ÖVP), ist mit 31,4 Prozent der Stimmen klarer Sieger. Der Zuwachs beträgt gegenüber 2013 7,7 Prozent. Der Sieg fiel also weniger überlegen aus als die Prognosen vermuten ließen. Kurz brachte die ÖVP erstmals seit 1966 zurück an die Spitze, womit auch feststeht, dass Österreich den jüngsten Bundeskanzler aller Zeiten bekommen wird. Favorit für die Rolle des Juniorpartners ist die rechte Freiheitliche Partei (FPÖ). Deren Chef Heinz-Christian Strache hat sein Ziel erreicht, mit 27,4 Prozent der Stimmen und einem Plus von 6,8 Prozent zweitstärkste Kraft zu werden.
Obwohl die Sozialdemokraten (SPÖ) mit Christian Kern einen Hoffnungsträger hatten, kommen sie mit 26,7 Prozent nur auf Platz drei. Kern, noch amtierender Bundeskanzler, sprach von einem „massiven Rechtsrutsch“.
Die großen Verlierer sind die Grünen, die fast zwei Drittel ihrer Stimmen eingebüsst haben und denen nun der Rauswurf aus dem Parlament droht. Am Sonntagabend lag die Ökopartei mit 3,3 Prozent knapp unter der Vier-Prozent-Hürde für den Einzug, man hofft aber noch auf Zuwachs aus Stadtergebnissen. „Das ist ein Debakel“, gab die Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek zu, die auch Vizepräsidentin des Europaparlaments ist. Doch daran ist weniger der Trend zum Rechtspopulismus schuld als vielmehr der ruinöse innerparteiliche Machtkampf zwischen Fundis und Realos, der im Frühjahr zur Spaltung geführt hat.
Keine Koalitionsaussagen
Denn Peter Pilz, Mitbegründer der Grünen, war wegen eines schlechten Listenplatzes ausgetreten und kandidierte mit einer eigenen Liste. Pilz, der als erfolgreichster Skandalaufdecker des Landes gilt, hat mit 4,1 Prozent das Ergebnis seiner ehemaligen Partei sogar übertroffen und dürfte in den Nationalrat einziehen. Enttäuschend verlief es auch für die wirtschaftsliberale Partei Neos, vergleichbar mit der FDP. Als Ziel hatte Spitzenkandidat Matthias Strolz ein zweistelliges Ergebnis vorgegeben, es gab nur 5 Prozent der Stimmen. Zu Koalitionsaussagen wollte sich am Sonntag keiner der Chefs der ersten drei Parteien äußern. Kurz will, sollte ihm Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsauftrag geben, „zunächst mit allen Parteien Gespräche führen“. Theoretisch hätten drei Koalitionsmodelle die nötige Mehrheit im 183 Sitze zählenden Wiener Parlament. Ein rot-blaues Bündnis dürfte an zu großem Widerstand in der SPÖ gegen die FPÖ scheitern. Dass die Sozialdemokraten den Parteibeschluss aufheben, wonach es mit der antieuropäischen Rechtspartei keine Kooperation geben dürfe, ist unwahrscheinlich. Genau dies aber machte Strache zur Bedingung. Eine Neuauflage der bisherigen Koalition der führenden Parteien SPÖ und ÖVP gilt zwar nach zwölf Jahren als äußerst unpopulär, doch mit neuen Protagonisten als erneuerbar. Bereits im Wahlkampf waren Gerüchte gestreut worden, Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil könne neuer SPÖ-Chef werden, da das Verhältnis von Kern zu Kurz als heillos zerrüttet gilt.
Parteichef Kern wollte am Sonntag seine Ankündigung, die SPÖ bei Verlust der Spitzenposition in die Opposition führen zu wollen, nicht wiederholen. Allgemein wird in Österreich erwartet, dass ÖVP und FPÖ die nächste Regierung bilden. FPÖ-Chef Strache führte diesmal einen gemäßigten Wahlkampf mit klarem Ziel einer Regierungsbeteiligung. Allerdings fehlt von der FPÖ ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union, das Kurz bereits eingefordert hat. Zumindest von einem Austritt Österreichs aus der EU, den die FPÖ noch vor Abstimmung in Großbritannien (Brexit) gefordert hat, spricht Strache nicht mehr. Gerüchten zufolge soll auch der EU-Skeptiker und unterlegene FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer nicht neuer Außenminister werden.
Der Grund: Im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt Österreich die EURatspräsidentschaft, die dann mit internationalen Protesten belastet wäre.