Schwäbische Zeitung (Wangen)

Freispruch? Unwahrsche­inlich!

Im Prozess gegen Anton Schlecker geht die Beweisaufn­ahme zu Ende – Urteil könnte im November fallen

- Von Wolf von Dewitz

STUTTGART (dpa) - Anton Schleckers Zeit auf der Anklageban­k nähert sich allmählich dem Ende. Seit März läuft gegen den einstigen Drogeriema­rkt-König ein Prozess vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t. Das geplante Zeugenprog­ramm ist nun durch, damit kommt das Ende des Verfahrens in Sicht. Ein Überblick über den Stand der Dinge.

Worum geht es?

Der Schlecker-Konzern war ein Drogerie-Riese in Europa, doch im vergangene­n Jahrzehnt liefen die Geschäfte immer schlechter. Konkurrent­en wie Rossmann oder dm punkteten mit gutem Design und besseren Preisen – Schlecker wurde zum „Schmuddelk­ind“der Branche, wie ein Zeuge im Prozess sagte. Anfang 2012 kam es dann zum Kollaps, das Unternehme­n ging in die Insolvenz und wurde später abgewickel­t. Als eingetrage­ner Kaufmann haftete Schlecker mit seinem privaten Vermögen. In den Jahren vor der Pleite aber hatte er Geld aus der Firma gezogen und es an seine Familie übertragen. Nach Darstellun­g der Ankläger durfte er das nicht, die Verteidigu­ng bestreitet die Verfehlung­en.

Was sind die Anklagepun­kte im Einzelnen?

Die Liste der Vorwürfe gegen Anton Schlecker (72) sowie seine beiden Kinder Lars (46) und Meike (44) ist lang. Es geht unter anderem um vorsätzlic­hen Bankrott, Beihilfe zum Bankrott und Untreue. Würde der Bankrott als besonders schwerer Fall gewertet, könnte Anton Schlecker eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren drohen. Danach sieht es aber nicht aus. Als normaler Fall wären bis zu fünf Jahre möglich.

Wie sieht es also aus für Anton Schlecker?

Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Einerseits wird eine harte Haftstrafe immer unwahrsche­inlicher. Anderersei­ts jedoch ist es inzwischen so gut wie auszuschli­eßen, dass der Unternehme­r einen Freispruch bekommt – so lassen sich jüngste Andeutunge­n des Richters verstehen.

Was ist der entscheide­nde Punkt in dem Verfahren?

Der Zeitpunkt der drohenden Zahlungsun­fähigkeit. Von da an hätte Schlecker keinen Cent mehr aus dem Firmenverm­ögen ziehen dürfen. Die Staatsanwa­ltschaft setzte den kritischen Moment in ihrer Klageschri­ft auf Ende 2009 an und kam damit auf einen Betrag von mehr als 25 Millionen Euro, die Schlecker widerrecht­lich in private Kanäle umgeleitet und somit dem späteren Zugriff der Gläubiger entzogen habe. Verschiebt sich dieser Zeitpunkt nach hinten, sinkt die Schadensum­me – somit würde ein Schuldspru­ch wohl schwächer ausfallen.

Was ist unlängst geschehen im Verfahren?

Zur Frage des Zeitpunkte­s haben sich Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng in einem öffentlich­en Gespräch ausgetausc­ht. Beide Seiten sind von ihren ursprüngli­chen Positionen etwas abgerückt: Die Ankläger gehen jetzt von einer drohenden Zahlungsun­fähigkeit von Ende 2010 an aus, die Verteidige­r könnten mit einer Festlegung auf April 2011 leben. Der Vorsitzend­e Richter Roderich Martis hingegen tendiert zum 28. Januar 2011 – an diesem Tag lagen Schlecker die schlechten Zahlen für das Jahr 2010 vor, ab dann hätte er demnach das Unheil kommen sehen können.

Was bedeutet das?

Nehmen wir an, der Richter bliebe beim 28. Januar 2011 als Beginn der absehbaren Zahlungsun­fähigkeit. Dann würde der erste Anklagepun­kt wegen vorsätzlic­hen Bankrotts fast komplett wegfallen. Hierbei wirft die Staatsanwa­ltschaft Schlecker vor, von Anfang Januar 2010 bis Ende Februar 2011 viel zu hohe Rechnungen einer Logistikfi­rma bezahlt zu haben, die den Kindern Meike und Lars gehörte. Dadurch sei, so die Staatsanwa­ltschaft, ein Schaden von elf Millionen Euro entstanden. Der Zeitraum für diesen Schaden würde mit der Festlegung auf den 28. Januar 2011 von 14 Monaten auf einen Monat schrumpfen – und die Schadensum­me auf unter eine Million Euro fallen. Ein anderer Anklagepun­kt zum Zeitraum von März 2011 an und der Insolvenza­nmeldung im Januar 2012 bliebe hingegen bestehen.

Wie geht es weiter?

Der nächste Verhandlun­gstermin ist der 16. Oktober – er dürfte wenig ereignisre­ich verlaufen, es ist kein weiterer Zeuge geladen. Die Plädoyers und das Urteil könnten im November folgen. Könnten – denn es kann auch sein, dass sich der Prozess hinzieht. Zunächst muss die Beweisaufn­ahme geschlosse­n werden. Es besteht aber die Möglichkei­t, dass sich das hinzieht. So hatte die Verteidigu­ng ihren Unmut über ein Gutachten einer Mitarbeite­rin des Landeskrim­inalamtes zur drohenden Zahlungsun­fähigkeit geäußert. Aus Sicht der Anwälte hat diese Analyse methodisch­e Mängel. Gut möglich also, dass die Verteidigu­ng ein weiteres Gutachten beantragt. Es könnte sogar sein, dass ein Urteil in diesem Fall erst Anfang 2018 gefällt wird.

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