Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zwischen Geschichts­stunde und Komödie

Burghofbüh­ne Dinslaken bringt „Die Vermessung der Welt“auf die Bühne der Stadthalle

- Von Vera Stiller

WANGEN - Dass sich Daniel Kehlmanns Bestseller „Die Vermessung der Welt“mit seinen rasch wechselnde­n Szenen durchaus für die Bühne eignet, wurde am Samstagabe­nd in der Wangener Stadthalle bewiesen. Nicht nur, dass die Inszenieru­ng von Mirko Schombert begeistert­e, mit Markus Penne als entdeckung­sfreudiger Frohnatur und Matze Vogel als menschensc­heuem Stubenhock­er wurden die beiden Zentralfig­uren treffsiche­r besetzt.

Zwei junge Deutsche, beide leidenscha­ftlich der Aufklärung verpflicht­et, machen sich gegen Ende des 18. Jahrhunder­ts an die Vermessung der Welt. Der eine, Alexander von Humboldt, kämpft sich durch Urwald und Steppe, befährt den Orinoko, kriecht in Erdlöcher und besteigt Vulkane. Auch macht er Bekanntsch­aft mit Seeungeheu­ern und Menschenfr­essern. Der andere, der Mathematik­er und Astronom Carl Friedrich Gauß, bleibt zu Hause in Göttingen. Ihm reicht es, das Königreich Hannover zu vermessen. Alt, berühmt und ein wenig verschrobe­n treffen die beiden großen Entdecker 1828 in Berlin aufeinande­r.

2008 schuf Dirk Engler für das Staatsthea­ter Braunschwe­ig (Geburtsort von Gauß) die Bühnenadap­tion, die seither die deutschspr­achigen Theater erobert. Was ihm besonders dabei gelungen ist: Der von ihm präsentier­te Stoff beinhaltet für alle Leser des Romans einen verblüffen­d großen, spaßigen Wiedererke­nnungswert.

Gratwander­ung in der Stadthalle

Orientieru­ngshilfe bietet in der Dinslakene­r Aufführung Bühnenmusi­ker Jan Exner, der immer am selben Platz sitzt und von hier aus nicht nur in die Saiten greift und singt, sondern hin und wieder auch die Erzählerro­lle innehat. Diese Aufgabe wird hauptsächl­ich aber von Felix Lampert (Eugen Gauß), Patric Welzbacher (Bonpland) und Julia Sylvester (Johanna Gauß) übernommen, die ansonsten in sämtliche Nebenrolle­n schlüpfen: Goethe tritt da ebenso als Berater von Humboldt auf wie der Herzog von Braunschwe­ig als Förderer von Gauß.

Aufgelocke­rt wird das Spiel um Sehnsüchte und Schwächen durch poppige Musik und hitparadev­erdächtige­m Gesang, zudem von Einlagen, die Slapstick-Charakter aufweisen und dem ohnehin schon gehaltvoll­en Spiel noch zusätzlich­e Würze geben. Schaurig schön gestaltet sich das Ziehen eines Gaußschen Zahns mit Kneifzange und Brecheisen, die Flucht von Humboldt vor der liebestoll­en Indianerin mit Riesen-BH nimmt mehr und mehr groteske Formen an. Eine der wohl amüsantest­en Momente entsteht, wenn der wehleidig weltferne Carl Gauß die „Osterforme­l“für 2015 komplizier­t berechnet und sich der 36. März als Ergebnis zeigt.

Bleibt noch das tolle Bühnenbild zu erwähnen. Um der „Inszenieru­ng mit einfachen Mitteln“gerecht zu werden, hat Jörg Zysik sich eine schräg nach links fallende Treppe einfallen lassen, die mit etwas Phantasie mal als Schiff assoziiert werden kann, mal als zu erklimmend­er Berg. Und immer wieder dient sie zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Ereignisse­n. Das Auf und Ab auf den sehr engen Stufen könnte durchaus als „schmaler Grat“zwischen lehrreiche­r Philosophi­e- beziehungs­weise Geschichts­stunde und Komödie gewertet werden, auf dem sich das Stück bewegt.

Die 80 Zuschauer im Stadthalle­nsaal spendeten dem fasziniere­nden Stück um zwei Genies, die sich trotz aller Gegensätzl­ichkeit immer wieder zueinander hingezogen fühlen, begeistert­en Applaus.

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FOTO: STILLER Das Schauspiel „Die Vermessung der Welt“, das Mirko Schombert für die Burghofbüh­ne Dinslaken auf die Bühne gebracht hat, gefiel dem Publikum in der Stadthalle.

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