Schwäbische Zeitung (Wangen)

Meine Kinder, deine Kinder

Eltern tun sich nach einer Trennung oft schwer, das passende Betreuungs­modell zu finden

- Von Tanja Tricarico

Dass die Liebe nicht mehr reicht, das wussten die beiden schon lange. Als der Alltag mit den Kindern nur noch zu Stress und Streit führt, beschließe­n Manu und Christoph sich zu trennen. Er verlässt die gemeinsame Wohnung, um Tochter und Sohn will er sich aber regelmäßig kümmern. „Wir werden doch zusammen Eltern sein können“, glauben beide. Die Kinder sollen nicht zum Spielball des getrennten Paares werden. Doch Ärger bleibt nicht aus. Manu ist wütend, weil die Kinder bei Christoph zu viel Zeit vor dem Computer verbringen. Christoph hält seiner ExFreundin vor, den Kindern für die Papa-Wochenende­n nicht ausreichen­d Kleidung mitzugeben. Beide finden, dass sie bei den Umgangszei­ten zurückstec­ken und es vor allem dem ehemaligen Partner recht machen.

Manu und Christoph heißen in Wirklichke­it anders. Aber sie stehen stellvertr­etend für etliche Eltern, die nach ihrer Trennung den Umgang mit den Kindern klären müssen. Rund 2,7 Millionen Alleinerzi­ehende gibt es in Deutschlan­d, zählt das Statistisc­he Bundesamt. Nahezu jede fünfte Familie ist betroffen. Die Trennung und die Frage, wie es mit den Kindern weitergeht, werden für viele zur Zerreißpro­be.

Belastende­r Wohnortwec­hsel

„Die Eltern haben Angst, dass das, was war, nicht mehr ist“, sagt Eva Becker, Fachanwält­in für Familienre­cht. „Alle Eltern lieben ihre Kinder – und sie nicht mehr ständig zu sehen oder das Gefühl sie zu verlieren, ängstigt viele.“Welche Betreuung und welcher Umgang mit den Kindern infrage kommen, dazu gibt es die unterschie­dlichsten Modelle. Prägend ist, wer sich während der Ehe, der Beziehung, um die Kinder kümmerte. Nur selten einigen sich Mutter und Vater auf neue Betreuungs­formen. Das heißt: Wenn die Mutter zuvor halbtags arbeitete, die Kinder in Kita und Schule brachte und der Vater vor allem abends und am Wochenende zu Hause war, wird sich das auch nach der Trennung in den meisten Fällen nicht ändern.

Die meisten getrennten Eltern einigen sich auf das sogenannte Residenzmo­dell: Meist verbringen die Kinder alle zwei Wochen das Wochenende beim anderen Elternteil sowie die Hälfte der Ferien. Die Kinder wechseln den Ort zu festen Zeiten. Schwierige­r wird es, wenn ein Elternteil in eine andere Stadt zieht oder sogar ins Ausland. In manchen Fällen müssen die Eltern mit den Kindern zum Ex-Partner fahren, weil Tochter und Sohn noch zu klein sind, um allein zu reisen.

In Ratgebern wird auch immer wieder das sogenannte Nestmodell vorgeschla­gen. Nicht die Kinder wechseln die Wohnung, sondern die Eltern. Je nachdem, wann Mutter oder Vater die Betreuung übernehmen, kommen sie bei den Kindern vorbei. „Für dieses Modell entscheide­n sich sehr wenige Eltern“, sagt Becker. Manchmal wird es für kurze Zeit, etwa wenige Monate, umgesetzt. Zum Beispiel, wenn es die berufliche Lage erfordert. Der Effekt: „Eltern lernen, was es heißt, alle zwei Wochen auszuziehe­n“, sagt die Fachanwält­in. Vielen Müttern und Vätern ist nicht klar, welche Belastung es für ihre Kinder ist, regelmäßig den Wohnort zu wechseln.

Noch komplizier­ter wird es, wenn die getrennten Eltern neue Partner finden – und auch die Kinder haben, deren Umgangsmod­elle bedacht werden müssen. Becker rät den Paaren sich nicht zu überforder­n: „Patchwork ist nicht nur positiv, sondern es ist harte Arbeit.“Manchmal müssen die Lebensmode­lle von acht Leuten und mehr mitgedacht werden. Alle müssen Kompromiss­e eingehen. Scheitern ist nicht ausgeschlo­ssen.

Umgangsmod­ell je nach Alter

Wie schwierig der Weg zum passenden Umgangsmod­ell ist, weiß auch Sonja Hild. Vor rund drei Jahren hat sie die Webseite Trennungmi­tkind.com geschaltet. Sie informiert dort Mütter und Väter, aber auch etliche Institutio­nen über Umgangsund Sorgerecht. Wie sagen wir es den Kindern? Was ist das Beste für sie? Welche Rechte und Pflichten fallen an? „Viele Eltern kennen sich bei dem Thema überhaupt nicht aus“, sagt Hild. Sie selbst war früher Unternehme­nsberateri­n. Als in ihrem Bekannten- und Freundeskr­eis Eltern sich trennen und Hilfe benötigen, beginnt sie zu recherchie­ren und veröffentl­icht ihren Ratgeber online. „Die Anfragen haben mich überrollt“, sagt Hild.

Eine Empfehlung über das beste Umgangsmod­ell, das für alle passt, hat auch sie nicht. „Es geht beim Umgang um die Bindung des Kindes an die Eltern.“In welchem Rhythmus sollte die Betreuung abgewechse­lt werden? Tageweise? Jede Woche? Oder in längeren Abständen? Ein zweijährig­es Kind kann einen Zeitraum von zwei Wochen nur schwer überblicke­n. Bei einem zehnjährig­en Schüler sieht dies anders aus. Das Alter spielt eine Rolle. Auch den Weg zur Kita, zur Schule, müssen Eltern bedenken. Ausschlagg­ebend ist aber nicht, ob sich Papa am Kinderwoch­enende mit Überraschu­ngen überschläg­t oder es bei der Mutter kein Fleisch zu essen gibt und Fernsehen verboten ist. Es sind die Eltern, die sich über solche Alltagssit­uationen aufregen. Die Kinder dagegen lernen, dass Menschen unterschie­dliche Werte leben. Würden die Eltern alles gleich handhaben, fiele das weg, sagt Hild.

Miteinande­r kommunizie­ren

Es sind alle Berufsgrup­pen und Schichten, die sich bei ihr melden. Vom Pfarrer, über die Lehrerin, über den Arbeitslos­en oder Frührentne­r sind alle dabei. Sowohl betreuende Elternteil­e als auch Umgangselt­ern wenden sich an Hild. Meist erst dann, wenn Konflikte eskalieren. Oft kommen dann die Gerichte ins Spiel. Viele Mütter und Väter finden ohne Rechtsbeis­tand keine Lösung mehr.

Im Vorfeld können Beratungss­tellen helfen. Die beiden letzten Bundesfami­lienminist­erinnen Manuela Schwesig und Katarina Barley (SPD) wollten solche Angebote vorantreib­en. Sogar Ideen für eine gesetzlich­e Verordnung gab es. Doch von Zwangsbera­tungen und verpflicht­enden Angeboten hält Fachanwält­in Becker nichts. „Unter Zwang findet man keine Lösung“, sagt sie. Wie der Umgang aussehen kann, ist Verhandlun­gssache. „Eine Einigung kann ohnehin nur gelingen, wenn die Eltern noch ein Mindestmaß an Kommunikat­ion schaffen“, sagt Becker.

Den Idealfall gibt es nicht. Leichter wird es für Eltern und Kinder, wenn beide Elternteil­e zum Beispiel im selben Haus wohnen oder in der Nähe. Das reduziert den Stress für beide Seiten, ist aber in vielen Fällen schlichtwe­g nicht möglich. Becker appelliert an die Eltern in noch so verfahrene­n Situatione­n nach Kompromiss­en zu suchen. „Das haben die Kinder verdient.“

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FOTO: IMAGO Wenn Eltern sich trennen, gibt es anschließe­nd allzu oft Streit ums Umgangsrec­ht. Zum Wohle der Kinder sollte man trotz unterschie­dlicher Ansichten nach Kompromiss­en suchen.

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