Schwäbische Zeitung (Wangen)

Feilschen wie auf dem Basar

EU-Parlaments­präsident Tajani nennt britisches Finanzange­bot zu Brexit „Peanuts“

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Die EU-Staats- und Regierungs­chefs kommen am Donnerstag in Brüssel zu einem Gipfel zusammen, bei dem sie über den bisherigen Verlauf der Brexit-Gespräche mit London beraten wollen. Theresa May will dabei eindringli­ch an ihre Regierungs­kollegen appelliere­n. Ein harter Brexit, also ein Ausscheide­n Großbritan­niens aus der EU ohne Folgeverei­nbarung, sei doch in niemandes Interesse, so Großbritan­niens Premiermin­isterin. Die Runde solle doch bitteschön etwas Kompromiss­bereitscha­ft zeigen.

Wenn es so läuft wie die Male zuvor, seit Großbritan­nien Ende März seinen Austrittsw­illen schriftlic­h bekundet hat, wird höfliches Schweigen dem leidenscha­ftlichen Appell folgen. Bislang halten sich alle an die gemeinsam beschlosse­ne Linie: Über eine mögliche Übergangsr­egelung und das künftige Verhältnis beider Partner nach der Trennung wird erst gesprochen, wenn bei den drei Schlüsselt­hemen Finanzen, Nordirland und Rechte der EU-Bürger ausreichen­de Fortschrit­te erzielt sind.

Diese Fortschrit­te aber sind bislang ausgeblieb­en, wie Verhandlun­gsführer Michel Barnier letzte Woche nach der nunmehr fünften Brexit-Runde mit bekümmerte­m Gesichtsau­sdruck verkündete.

Als „Peanuts“bezeichnet­e EUParlamen­tspräsiden­t Antonio Tajani in einem BBC-Interview die von London in Aussicht gestellte Abschlussz­ahlung von 20 Milliarden Euro für Verbindlic­hkeiten aus der Zeit der Mitgliedsc­haft. Die Rechnung sei viel höher. „50 oder 60 Milliarden, das ist die wirkliche Situation“, wiederholt­e er eine in Brüssel kursierend­e Zahl. In Wahrheit glaubt niemand, dass man Londons Schulden objektiv berechnen kann. Es wird gefeilscht wie auf dem Basar.

Beide Seiten beschuldig­en sich, die Verhandlun­gen absichtlic­h in die Länge zu ziehen, um den Druck auf den jeweils anderen zu erhöhen. In Brüssel kursiert die Vermutung, der britische Verhandlun­gsführer David Davis spiele mit der Angst der RestEU vor einem harten Brexit und wolle durch Verzögerun­g Zugeständn­isse erzwingen. Davis wiederum bezichtigt Brüssel genau derselben Taktik. Teil dieses Pokers ist auch eine Formulieru­ng aus der Abschlusse­rklärung des Gipfels, um die seit Wochen in den zuständige­n Gremien der EU-Regierunge­n gerungen wird.

Widerstand aus Berlin

Zunächst sollte darin die Erwartung ausgedrück­t werden, dass beim Dezembergi­pfel die Fortschrit­te ausreichen, um Übergangsr­egelungen und ein Folgeabkom­men zu besprechen. Dieser Automatism­us stieß bei mehreren Regierunge­n, auch der deutschen, auf Widerstand. Nun wird lediglich in Aussicht gestellt, intern mit den Vorbereitu­ngen zu beginnen, damit man sofort startklar ist, wenn Barnier ausreichen­de Fortschrit­te bei den Austrittsg­esprächen festgestel­lt hat. Für Außenstehe­nde sind diese diplomatis­chen Spielchen kaum mehr nachvollzi­ehbar. Ganz simpel ausgedrück­t geht es darum, wer in den kommenden Monaten die besseren Nerven hat.

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FOTO: AFP Fordert Kompromiss­bereitscha­ft: Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May.

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