Feilschen wie auf dem Basar
EU-Parlamentspräsident Tajani nennt britisches Finanzangebot zu Brexit „Peanuts“
BRÜSSEL - Die EU-Staats- und Regierungschefs kommen am Donnerstag in Brüssel zu einem Gipfel zusammen, bei dem sie über den bisherigen Verlauf der Brexit-Gespräche mit London beraten wollen. Theresa May will dabei eindringlich an ihre Regierungskollegen appellieren. Ein harter Brexit, also ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Folgevereinbarung, sei doch in niemandes Interesse, so Großbritanniens Premierministerin. Die Runde solle doch bitteschön etwas Kompromissbereitschaft zeigen.
Wenn es so läuft wie die Male zuvor, seit Großbritannien Ende März seinen Austrittswillen schriftlich bekundet hat, wird höfliches Schweigen dem leidenschaftlichen Appell folgen. Bislang halten sich alle an die gemeinsam beschlossene Linie: Über eine mögliche Übergangsregelung und das künftige Verhältnis beider Partner nach der Trennung wird erst gesprochen, wenn bei den drei Schlüsselthemen Finanzen, Nordirland und Rechte der EU-Bürger ausreichende Fortschritte erzielt sind.
Diese Fortschritte aber sind bislang ausgeblieben, wie Verhandlungsführer Michel Barnier letzte Woche nach der nunmehr fünften Brexit-Runde mit bekümmertem Gesichtsausdruck verkündete.
Als „Peanuts“bezeichnete EUParlamentspräsident Antonio Tajani in einem BBC-Interview die von London in Aussicht gestellte Abschlusszahlung von 20 Milliarden Euro für Verbindlichkeiten aus der Zeit der Mitgliedschaft. Die Rechnung sei viel höher. „50 oder 60 Milliarden, das ist die wirkliche Situation“, wiederholte er eine in Brüssel kursierende Zahl. In Wahrheit glaubt niemand, dass man Londons Schulden objektiv berechnen kann. Es wird gefeilscht wie auf dem Basar.
Beide Seiten beschuldigen sich, die Verhandlungen absichtlich in die Länge zu ziehen, um den Druck auf den jeweils anderen zu erhöhen. In Brüssel kursiert die Vermutung, der britische Verhandlungsführer David Davis spiele mit der Angst der RestEU vor einem harten Brexit und wolle durch Verzögerung Zugeständnisse erzwingen. Davis wiederum bezichtigt Brüssel genau derselben Taktik. Teil dieses Pokers ist auch eine Formulierung aus der Abschlusserklärung des Gipfels, um die seit Wochen in den zuständigen Gremien der EU-Regierungen gerungen wird.
Widerstand aus Berlin
Zunächst sollte darin die Erwartung ausgedrückt werden, dass beim Dezembergipfel die Fortschritte ausreichen, um Übergangsregelungen und ein Folgeabkommen zu besprechen. Dieser Automatismus stieß bei mehreren Regierungen, auch der deutschen, auf Widerstand. Nun wird lediglich in Aussicht gestellt, intern mit den Vorbereitungen zu beginnen, damit man sofort startklar ist, wenn Barnier ausreichende Fortschritte bei den Austrittsgesprächen festgestellt hat. Für Außenstehende sind diese diplomatischen Spielchen kaum mehr nachvollziehbar. Ganz simpel ausgedrückt geht es darum, wer in den kommenden Monaten die besseren Nerven hat.