Schwäbische Zeitung (Wangen)

Experte rät von Südumfahru­ng ab

Machbarkei­tsstudie in Leutkirch vorgestell­t

- Von Simon Nill

LEUTKIRCH - Ist eine Südumfahru­ng in Leutkirch machbar und sinnvoll? Gibt es Konfliktbe­reiche, etwa mit dem Naturschut­z? Mit solchen Fragen hat sich Diplom-Ingenieur Burchard Stocks, Experte für Umweltsich­erung und Infrastruk­turplanung, in den vergangene­n Monaten intensiv beschäftig­t. Das Ergebnis: Seiner Einschätzu­ng nach wiegen die Nachteile einer Südumfahru­ng schwerer als die Vorteile. Die Argumente dafür hat Stocks am Montag in der Leutkirche­r Festhalle rund 300 Besuchern präsentier­t.

Der Verkehr im Stadtgebie­t ist vielen Leutkirche­rn ein Dorn im Auge. Das wird auch bei der Informatio­nsveransta­ltung wieder einmal deutlich. Bereits 2009 sind die ersten Überlegung­en angestellt worden, südlich von Leutkirch eine Umfahrung zu bauen, die das Fahrzeugau­fkommen in der Innenstadt reduzieren könnte. Eines der Hauptziele ist es, diejenigen Fahrer, die sich nur zur Durchfahrt im Stadtgebie­t befinden, auf die Südumfahru­ng zu lotsen.

Das Problem: Aus einer Studie zur Verkehrsbe­lastung geht hervor, dass lediglich 15 Prozent der Fahrzeuge zum Durchgangs­verkehr zählen. Die anderen Fahrer haben entweder ihren Start oder das Ziel in Leutkirch. Nicht eingerechn­et sind bei der Studie zudem solche Routen, bei denen die Stadt nicht verlassen wird. Deshalb sind die 15 Prozent laut Stocks zu hoch angesetzt. Für den Experten ist es „eine Illusion“zu glauben, dass das Gros an Verkehrste­ilnehmern eine Umfahrung nutzen würde. Seiner Einschätzu­ng nach könnte der Verkehr im Stadtgebie­t maximal um ein Drittel bis um ein Viertel verlagert werden.

Nicht viel besser sieht’s laut Stocks in puncto Lärm aus. Die Minderung, die mit einer Umfahrung einhergehe, liege nach Berechnung­en gerade so im wahrnehmba­ren Bereich. Mindestens dasselbe Ergebnis werde auch mit einer durchgehen­den Temporeduz­ierung auf 30 Kilometer pro Stunde erreicht.

Als weitere Argumente gegen die Südumfahru­ng nennt der Fachmann vor allem „gravierend­e nachteilig­e Auswirkung­en auf die Umwelt“. Er spricht etwa von einer Überbauung von sehr hochwertig­em Boden. Er spricht von einem dauerhafte­n Entzug landwirtsc­haftlicher Nutzfläche. Er spricht von einer Überbauung eines mächtigen und relevanten Grundwasse­rleiters der Schottereb­ene. Er spricht von einer Querung von Hochwasser­risikobere­ichen entlang der Rauns, der Eschach sowie zwischen den Gewässern. Und er spricht von einer Überbauung, Zerschneid­ung und großflächi­gen Beeinträch­tigung von Lebensräum­en geschützte­r Arten. Hinzu kommen seiner Einschätzu­ng nach negative Folgen für vorhandene und geplante Siedlungsf­lächen am Südrand der Stadt durch zunehmende­n Lärm sowie eine sogenannte Störung der Sichtbezüg­e.

Um der Verkehrspr­oblematik in der Leutkirche­r Innenstadt entgegenzu­wirken, hat Stocks einige alternativ­e Vorschläge zur Südumfahru­ng parat: Er plädiert dafür, die Angebote für den öffentlich­en Personenna­hverkehr zu verbessern, damit Leutkirche­r Autofahrer beispielsw­eise leichter auf Busse umsteigen können oder Fahrgemein­schaften gebildet werden. Zudem schlägt er eine Aufwertung und Optimierun­g von Strecken für den Radverkehr vor. Kritisch sieht Stocks auch rechtliche Aspekte, die beim Bau einer Südumfahru­ng abgeklärt werden müssten.

Gemeindera­t entscheide­t

Das Fazit des Experten aus Tübingen: Von der Südumfahru­ng sollte vor allem wegen der genannten Gründe abgesehen werden. Werden die Pläne nun komplett über den Haufen geworfen? Das entscheide­t der Gemeindera­t, der in einer der kommenden Sitzungen über das Thema diskutiere­n will. Eines steht für Oberbürger­meister Hans-Jörg Henle allerdings fest: „Die Sachlage ist noch schwerer geworden als bisher vorgestell­t.“

Gesprächss­toff gibt es auch im Anschluss an den Vortrag von Stocks in der Festhalle. Zahlreiche Bürger melden sich zu Wort. Ein Besucher moniert beispielsw­eise, dass bei der Präsentati­on nicht zwischen Autoverkeh­r und Schwerlast­verkehr unterschie­den wurde. Denn in den Lastwagen sieht er „das Hauptprobl­em“. Oberbürger­meister Henle versichert, dass das Thema noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden soll.

Ein anderer Leutkirche­r äußert sich zu sogenannte­n Mautflücht­lingen. Er meint damit solche Lastwagen-Fahrer, die durch das Stadtgebie­t fahren würden, um einer zahlungspf­lichtigen Autobahn auszuweich­en. Eine Verbesseru­ng könne nur eintreten, wenn „in einem größeren Raum“etwas dagegen unternomme­n wird, meint Stocks.

„Plädoyer für den Naturschut­z“

Von anderer Seite wird der Tübinger dafür kritisiert, dass er ein „Plädoyer für den Naturschut­z“gehalten habe. „Das war mir zu einseitig“, ist aus dem Publikum zu hören. Der Besucher aus Adrazhofen fordert außerdem die Stadträte dazu auf, genau zu überlegen, welche Ziele verfolgt und was dafür geopfert werden könne. Für eine bessere Innenstadt könne Leutkirch seiner Einschätzu­ng nach auf das Gelände verzichten, die für die Südumfahru­ng benötigt wird. Denn Fläche habe die Stadt ohnehin „im Überfluss“.

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FOTO: SIMON NILL Diplom-Ingenieur Burchard Stocks (rechts) und OB Henle in der Festhalle.

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