Energieverbrauch exakt vorhersagen
Projekt an der Hochschule Kempten soll Kraftwerksbetreibern helfen, sich frühzeitig auf Lastspitzen einzustellen
KEMPTEN (bebu) - Die Erkenntnis ist beileibe nicht neu: Ist um 20.45 Uhr Anpfiff für die Fußballnationalmannschaft, schnellt 45 Minuten später der Energieverbrauch in die Höhe. 15 Minuten später sinkt er wieder. Einen solchen Bedarf voraussagen zu können, ist für Energieanbieter wichtig. Am besten natürlich lange im Voraus und so exakt wie möglich. Denn so können sie sich frühzeitig auf diese Lastspitzen einstellen: entscheidend gerade für Anbieter erneuerbarer Energien wie Wind oder Biomasse.
Ihnen kann eine Erfindung der Hochschule Kempten helfen, Energie, Emissionen und Geld zu sparen. Professor Dr. Matthias Finkenrath und Master of Engineering Till Faber, der an seiner Dissertation arbeitet, haben ein Lastprognoseverfahren entwickelt. Inzwischen ist diese Methode auch zum europäischen Patent angemeldet.
„KWK-Flex“heißt das Forschungsprojekt zur Fernwärmeoptimierung, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Kerninnovation: Lastverläufe in Wärme- oder Kältenetzen durch „Deep Learning“, also gemeinsam mit Informatikern entwickelten Optimierungsmethoden, mit höchster Genauigkeit vorherzusagen. Finkenrath verdeutlicht die Problematik: „Photovoltaik und Windenergie sind vom Wetter abhängig, die Stromeinspeisung schwankt also sehr stark. Für Haushalte, Industrie und Gewerbe muss die stabile Versorgung mit Strom und Wärme aber gesichert sein.“Fernwärmenetze erreichen Gesamtlängen von mehreren hundert Kilometern – dies sei eine erhebliche Herausforderung für die optimale Versorgung der Leitungsnetze. Schlage das Wetter um, werde kurzfristig viel Energie gebraucht.
„Diese Spitzen werden bislang häufig über fossile Brennstoffe, also Öl und Gas, abgedeckt. Es entstehen hohe Kosten fürs Anfahren dieser Kraftwerke – und es entsteht das Treibhausgas CO2“, erklärt Faber. Mit der in Kempten entwickelten Methode könne etwa der Betreiber eines Biomasseheizkraftwerks ausreichend Warmwasser speichern und bei einer Lastspitze diese CO2- neutrale Wärme zur Wärme- oder Stromgewinnung einsetzen. Nein, neu sei die Idee nicht, Lastverläufe in Fernwärmenetzen vorherzusagen, sagt Finkenrath. Neu seien aber die Menge und die ausgeklügelte Verarbeitung der verwendeten Daten. Leistungsfähige Computer und intelligente Software machen es möglich: Wetterdaten der letzten 15 Jahre, Jahreszeiten, Tag und Nacht, Uhrzeiten, Wochen- und Feiertage, bisheriger Verbrauch. „Und beim Wetter geht es ja nicht nur um warm oder kalt“, ergänzt Faber. Auch Bedeckungsgrad, Windrichtung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck werden einbezogen. Insgesamt Millionen von Daten. Sie mit maximalem Nutzen zu verwerten, sagt Finkenrath, sei durch die fächerübergreifende Zusammenarbeit, etwa mit Professor Jürgen Brauer aus dem Bereich Informatik, möglich geworden.
Dabei, das ist Finkenrath und Faber sehr wichtig, seien absolut keine Daten von Endverbrauchern verwendet worden. Das Lastprognoseverfahren wird mit den Projektpartnern Fernwärme Ulm und ZAK Kempten in der Praxis verwendet und weiter verbessert. Auch andere Energieversorger und Industrieunternehmen interessieren sich bereits für die Idee aus Kempten.