Dramatische Entwicklung in Katalonien
Regionalregierung erklärt Unabhängigkeit – Madrid leitet Verfahren wegen „Rebellion“ein
MADRID (dpa/AFP) - Die Geduld mit Barcelona ist zu Ende: Der spanische Senat hat im heftigen Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens eine Entmachtung der Regionalregierung unter Carles Puigdemont gebilligt. In Madrid votierte der Senat am Freitag mit großer Mehrheit für eine Zwangsverwaltung der Region sowie weitere Maßnahmen.
Unmittelbar zuvor hatten die Abgeordneten des Regionalparlaments in Barcelona für einen Prozess zur Loslösung von Spanien und zur Gründung eines unabhängigen Staates gestimmt, allerdings ohne einen Zeitplan festzulegen. Im Ausland stieß die Erklärung auf Ablehnung.
Nach dem Votum des spanischen Senats trat der Ministerrat in Madrid zusammen. Die Minister billigten die Maßnahmen, für die der Senat zuvor den Weg freigemacht hatte, wie der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy nach der Sitzung bekannt gab. Als eine der ersten Maßnahmen soll die Absetzung des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont und seines Vizes Oriol Junqueras eingeleitet werden. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehören auch die Auflösung des Parlaments in Barcelona und die Vorbereitung von Neuwahlen.
Zudem kündigte die spanische Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Puigdemont wegen „Rebellion“an. Auf „Rebellion“steht im spanischen Recht eine Höchststrafe von 30 Jahren Haft.
Die Bundesregierung wandte sich gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens. „Die Souveränität und territoriale Integrität Spaniens sind und bleiben unverletzlich. Eine einseitig ausgerufene Unabhängigkeit Kataloniens verletzt diese geschützten Prinzipien“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte unterdessen vor „weiteren Rissen“in der EU. „Ich möchte nicht, dass die Europäische Union morgen aus 95 Staaten besteht“, sagte Juncker nach Angaben des Senders BFMTV vor Journalisten in Französisch-Guayana.
MADRID - Es war ein schwarzer Tag für Katalonien. Ein Freitag, an dem in Madrid und Barcelona schwerwiegende Entscheidungen getroffen wurden im katalanischen Unabhängigkeitskonflikt. Im Regionalparlament in Barcelona beschloss die Separatistenmehrheit per Resolution die einseitige Abspaltung Kataloniens von Spanien. Der spanische Senat billigte daraufhin eine Entmachtung der Regionalregierung unter Carles Puigdemont. In Madrid votierte der Senat mit großer Mehrheit für eine Zwangsverwaltung der Region. Die spanische Regierung beschloss die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona.
Zu den beschlossenen Maßnahmen gehören auch die Auflösung des Parlaments in Barcelona und die Vorbereitung von Neuwahlen. „Das Parlament habe ich aufgelöst“, sagte der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy nach einem außerordentlichen Treffen des Ministerrats am Freitagabend in Madrid. Die Absetzung und weitere beschlossene Maßnahmen werden erst mit der Veröffentlichung im spanischen Amtsblatt wirksam.. Die Neuwahlen sollen bereits am 21. Dezember stattfinden. „Ich habe beschlossen, so schnell wie möglich freie, saubere und rechtmäßige Wahlen auszurufen, um die Demokratie wiederherzustellen. Wir wollten nie, dass es soweit kommt“, sagte Rajoy.
Gabriel mahnt
Die Separatisten halten im katalanischen Parlament mit 72 von 135 Mandaten die knappe absolute Mehrheit, die sie vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Wählerstimmen errangen. Die Abspaltungsresolution wurde mit 70 Ja-Stimmen verabschiedet, zwei Abgeordnete enthielten sich, zehn gaben einen leeren Stimmzettel ab. Die Abgeordneten der drei prospanischen Parteien – Konservative, Sozialisten und Liberale – hatten vor der Abstimmung den Saal aus Protest verlassen.
Draußen vor den Toren des Katalanen-Parlamentes jubelten nach der Abstimmung Tausende Unabhängigkeitsbefürworter. Sprechchöre mit dem Ruf „Keinen Schritt zurück“kamen auf. Im Parlament wie auf der Straße wurde dann die katalanische Hymne angestimmt.
Die Europäische Union erkennt die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens nicht an. „Für die EU ändert sich nichts“, schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Spanien bleibt unser einziger Gesprächspartner.“Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hat die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit angemahnt. „Es bleibt dabei: Letztlich können nur Gespräche auf Basis der Rechtsstaatlichkeit und im Rahmen der spanischen Verfassung zu einer Lösung führen – die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kataloniens werden wir daher auch nicht anerkennen“, sagte Gabriel.
Der italienische Außenminister Angelino Alfano sagte, Kataloniens Bekenntnis sei ein „sehr ernster Akt und jenseits der gesetzlichen Grenzen“. „Italien erkennt die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Regionalparlaments von Katalonien nicht an und wird diese nicht anerkennen“. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron sagte, er habe „einen Partner“in Spanien, das sei Regierungschef Rajoy. Dieser trete für den Verfassungs- und Rechtsstaat in Spanien ein und habe seine „vollständige Unterstützung“. Die britische Regierung lehnt eine Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung ebenfalls ab. Diese beruhe auf einem Volksentscheid, den das spanische Verfassungsgericht für illegal erklärt habe, sagte ein Sprecher von Premierministerin Theresa May. Der Rechtsstaat müsse „aufrecht erhalten, die spanische Verfassung eingehalten und die spanische Einheit bewahrt bleiben“.
Die außerordentliche Intervention in die Autonomierechte der Region war von Spaniens Regierung beantragt worden, nachdem Puigdemont zwei Ultimaten verstreichen ließ. Madrid hatte Puigdemont aufgefordert, die unilaterale Unabhängigkeitsfahrt zu stoppen. Darauf war Puigdemont nicht eingegangen. Auch Neuwahlen hatte er abgelehnt. Die Zwangsmaßnahmen sind durch die spanische Verfassung gedeckt, die dieses Vorgehen erlaubt, soweit eine Region „ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllt“.
Rajoy hatte am Freitag im Senat die Anwendung der außerordentlichen Druckmittel in Katalonien mit den „fortgesetzten antidemokratischen Entscheidungen“der katalanischen Regierung und des von den Separatisten beherrschten Regionalparlaments begründet. Der spanische Staat habe die Pflicht, die katalanische Bevölkerung vor weiteren Gesetzesbrüchen zu schützen. Was in Katalonien in den letzten Wochen geschehen sei, „ist der größte Angriff auf die Demokratie seit dem Staatsstreich im Jahre 1981“. Damals hatten Militärs versucht, gegen die spanische Regierung zu putschen.
Unterdessen rüstete sich die Unabhängigkeitsbewegung für das Eingreifen in die katalanische Regierung und Verwaltung. Aktivisten haben vielerorts „Verteidigungskomitees“gegründet, welche die Speerspitze des zivilen Ungehorsams sein sollen. Zu den Plänen gehören nicht nur Demonstrationen und Streiks, sondern offenbar auch die Blockade von Autobahnen und anderen wichtigen Verkehrsknotenpunkten.