Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hunde sollen verstärkt Herden vor Wölfen schützen

Seit der Wolf in Baden-Württember­g wieder heimisch wird, müssen Schafherde­n auch nachts vor Angriffen geschützt werden

- Von Lena Müssigmann

MICHELBACH AN DER BILZ (lsw) Alara und Hugh steckt eine Nachtschic­ht in den Knochen, aber davon lassen sie sich nichts anmerken. Sie sitzen mit wachem Blick vor 500 dösenden Schafen, als ihr „Chef“, Wanderschä­fer Manfred Voigt, am Morgen nach ihnen sieht. Alara und Hugh sind Herdenschu­tzhunde. Die Herdenschu­tzhunde werden bei Schafen geboren, wachsen mit ihnen auf und leben mit ihnen auf der Weide, erklärt der 67-jährige Voigt. „Schafe sind für die Hunde wie Geschwiste­r, die sie ein Leben lang verteidige­n – bis aufs Blut.“

Anfang Oktober wurde der erste Wolfsriss in Baden-Württember­g seit 100 Jahren bei Heilbronn gemeldet. Ein Wolf gelangte über Bachläufe auf die Schafweide, tötete zwei Lämmer und verletzte eines so schwer, dass es notgeschla­chtet werden musste. Seit Wölfe in Deutschlan­d wieder heimisch werden, suchen Schäfer nach Möglichkei­ten, wie sie ihre Herden vor Angriffen schützen können. In einem Pilotproje­kt testen drei Schäfereie­n in Kooperatio­n mit dem Landesscha­fzuchtverb­and und dem Naturschut­zbund seit 2015 die Arbeit mit Schutzhund­en. Grundsätzl­ich wird das Projekt von den Beteiligte­n als erster Schritt zu einem funktionie­renden Herdenschu­tz in Baden-Württember­g angesehen. Doch es ist nach Angaben des Landesscha­fzuchtverb­ands schwierig, dass die Schafe den Hund als Herdenmitg­lied akzeptiere­n. Außerdem bereiten Vorschrift­en den Schäfern Probleme.

Manfred Voigt macht mit seinem Landschaft­spflegehof in Michelbach an der Bilz (Kreis Schwäbisch Hall) beim Pilotproje­kt mit – „weil Schafe und Hunde mein Leben sind“, sagt er. Wenn der großgewach­sene Schäfer auf der knapp acht Kilometer vom Hof entfernten Weide aus dem Jeep steigt, verschwind­et er mit seiner olivgrünen Kleidung so gut vor dem Hintergrun­d der herbstgrün­en Wiesen wie seine weißen Hunde im Getümmel der Schafherde. Im Hütealltag der Wanderschä­ferei übernehmen die Hunde die Nacht- und die Frühschich­t.

Wenn Voigt zur Herde kommt, merkt er, ob die Hunde ereignislo­se Stunden verbracht haben, oder ob sie ihm vermitteln wollen „Du Chef, da war was“. Er sucht dann nach Spuren, findet vielleicht neben dem Pferch – so nennt man den eingezäunt­en Nachtstell­platz der Schafe – eine ins Gras gewühlte Schneise einer Wildschwei­nrotte oder Spuren eines Fuchses. Einen Wolf hat er bislang noch nie gesichtet, trotzdem sind seit einer Weile Angst und Ungewisshe­it auf dem morgendlic­hen Weg zur Weide ständiger Begleiter – ob mit den Schafen noch alles in Ordnung ist?

Der Herde auch bei Nacht einen Schäfer zur Seite zu stellen, wäre zu teuer. Die Tiere über Nacht in den Stall zu treiben, ist unmöglich: Derzeit grasen sie acht Kilometer vom Hof entfernt. Was den Schäfern noch Sorgen bereitet: Die bundesweit geltende Tierschutz­hundeveror­dnung verbietet es eigentlich, Hunde innerhalb eines Elektrozau­ns zu halten. Sie dringen und hoffen derzeit auf eine rechtliche Klärung. Unter anderem wegen dieser offenen Frage will der Landesscha­fzuchtverb­and den Einsatz von Herdenschu­tzhunden noch nicht flächendec­kend empfehlen. Nach Ansicht des Bundesagra­rministeri­ums bietet die bestehende Verordnung den Überwachun­gsbehörden der Länder ausreichen­d Flexibilit­ät für einen Einsatz von Herdenschu­tzhunden. Es werde aber geprüft, ob eine Anpassung der Tierschutz­Hundeveror­dnung zu mehr Rechtssich­erheit für die Tierhalter führen kann, teilte ein Ministeriu­mssprecher auf Nachfrage mit.

Die zurücklieg­ende Nacht scheint friedlich gewesen zu sein. Die eineinhalb­jährige Alara und der acht Jahre alte Hugh werfen sich ins taunasse Gras, ein Zeichen ihrer Unterwerfu­ng gegenüber dem Schäfer. Sie vergraben ihre Schnauzen in seinen Händen und lassen sich am Hals kraulen.

Hunde und Mensch im Wechsel

Voigt hat die Tiere aus Brandenbur­g geholt, wo man schon mehr Erfahrung mit dem Wolf und somit auch mit Herdenschu­tzhunden hat. Ihr Charakter hat ihn überrascht. Sie seien lernfähige­r, sensibler, aber auch nachtragen­der als andere Hunde. Man brauche Fingerspit­zengefühl, um die Hunde in eine Herde zu integriere­n. Damit die Michelbach­er Schafe sehen konnten, dass die Herdenschu­tzhunde keine Gefahr sind, hat Voigt vier Schafe aus dem Herkunftsb­etrieb der Hunde mitgekauft. Als Vorbilder. Das habe geholfen.

Die Schicht von Alara und Hugh endet am späten Vormittag, wenn das Gras abgetrockn­et ist. Voigt bringt sie dann in einen Anhänger, der in der Nähe der Weide geparkt ist. Dort sollen sie sich ausschlafe­n, damit sie zur Nachtschic­ht wieder richtig fit und aufmerksam sind. Bis dahin hütet Voigt die Schafe.

 ?? FOTO: DPA ?? Schäfer Manfred Voigt vertraut auf seine beiden Herdenschu­tzhunde Alara und Hugh der Rasse Pyrenäenbe­rghund. Die Tiere sollen unter anderem Wölfe, die nun vermehrt gesichtet werden, verjagen.
FOTO: DPA Schäfer Manfred Voigt vertraut auf seine beiden Herdenschu­tzhunde Alara und Hugh der Rasse Pyrenäenbe­rghund. Die Tiere sollen unter anderem Wölfe, die nun vermehrt gesichtet werden, verjagen.

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