Suche nach Alternativen zur „großen“Flüchtlingspolitik
Mitglieder der Libanon-Delegation schildern, was sie in Nahost zu lernen hoffen
HEIMENKIRCH - Das öffentliche Interesse ist groß. Die 14 Fauen und Männer aus fünf Westallgäuer Gemeinden, die übermorgen in den Libanon aufbrechen, werden häufig gefragt, mit welchen Erwartungen sie die Reise antreten und welche Form der Zusammenarbeit mit einer libanesischen Partnergemeinde sie sich vorstellen. Gestern traf der Bayerische Rundfunk einige Delegationsteilnehmer in Heimenkirch. Diese gaben viel von ihrer persönlichen Motivation preis. Hier einige Fragen- und Themenkomplexe:
Welches Anliegen steckt hinter der Entscheidung, beim Projekt mitzuwirken? Die meisten Delegationsteilnehmer sind in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Johannes Buhmann, Bürgermeister von Gestratz, möchte „ausloten, welche Alternativen es zur bisherigen Flüchtlingspolitik gibt“. Paul Locherer aus Amtzell ist überzeugt: „Wir müssen den Ländern zur Seite stehen, die in riesiger Zahl Flüchtlinge aufgenommen haben.“Indem man diese unterstütze, verbessere man für die Geflüchteten die Chance auf Rückkehr in ihr Land, wenn der Bürgerkrieg zu Ende ist, ergänzt Markus Reichart, Bürgermeister von Heimenkirch. Er glaubt allerdings, dass die derzeit 65 Millionen Flüchtlinge weltweit erst „die Aufwärmphase der Völkerwanderung“darstellen und verweist auf zunehmende Fluchtursachen wie Wasserknappheit und Hunger.
Warum wurde der Libanon als Partnerregion ausgesucht? Der Libanon ist etwa so groß wie der Regierungsbezirk
Schwaben. Er hat weltweit die höchste Flüchtlingsquote: Auf 1000 Einwohner kommen 200 Flüchtlinge. Das heißt: Durch die Flüchtlingsbewegungen steht die libanesische Bevölkerung unter starkem Druck. Die große Mehrheit der Flüchtlinge kommt in ländlichen Gebieten unter. Entsprechend werden die Anlaufstellen der Westallgäuer Delegation überwiegend Landgemeinden sein.
Worauf sind die Delegationsteilnehmer am meisten gespannt? „Mich interessiert der kulturelle Austausch mit den Menschen im Libanon. Ich möchte erfahren, wie sie an bestimmte Fragen herangehen“, sagt Heike Kirchmann aus Hergatz. Eine Station der Sondierungsreise wird die Gemeinde Al Mohammara sein. Dort leben 6000 Einwohner und 30 000 Flüchtlinge. Wie diese Kommune ihre Aufgaben meistert, und wie die Menschen miteinander umgehen, möchten die Westallgäuer erkunden.„Ich will wissen, wie dort Integration funktioniert“, sagt Johannes Buhmann.
Gibt es konkrete Vorstellungen einer Projektzusammenarbeit? Alle Delegationsteilnehmer wollen mit größtmöglicher Offenheit auf die möglichen Partner zugehen. „Wir sind kein Hilfskonvoi“, sagt Markus Reichart. Kooperation müsse auf Augenhöhe stattfinden. Sölve Kanetzki Herbert Bader aus Heimenkirch betont, wie wichtig es sei, sich Zeit zu nehmen, und die Partner im Libanon erst richtig kennen zu lernen. „Wir müssen schauen, was möglich ist.“Als Ansätze möglicher Projekte sind bereits Schlagworte wie Bildung, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, medizinische Versorgung und Kultur gefallen.
Was können die Allgäuer durch diesen Austausch gewinnen? Johannes Buhmann sieht die Möglichkeit, von der libanesischen Gesellschaft etwas zu lernen: „Der Libanon – das ist Multikulti in der ganzen Bevölkerung. Mich interessiert, wie das funktioniert. Vielleicht könnte das ein Vorbild für uns sein. Auch bei uns wird sich die Vielfalt in der Bevölkerung noch stärker entwickeln.“
Sind die Westallgäuer vom Erfolg der Reise überzeugt? Markus Reichart spricht von einem „Samenkorn“, das viel Zeit brauchen werde um aufzugehen. Seine Hoffnung: „Unsere Gesellschaft der Besitzstandswahrung muss die Bereitschaft entwickeln, zu teilen.“In Sachen Bewusstseinsbildung nimmt Paul Locherer schon jetzt Erfolge wahr. Die Berichterstattung über das Projekt habe Mitbürger nachdenklich gemacht. „Verglichen zu den Zahlen im Libanon sind unsere 60 Flüchtlinge doch nicht viele“, beschreibt er Reaktionen aus Amtzell. Der Opfenbacher Herbert Bader fasst die Perspektive so zusammen: „Ich hoffe, dass wir erfolgreich sind, dass wir was schaffen – aber jetzt lassen wir es mal auf uns zukommen.“
„Ich hoffe, dass wir erfolgreich sind, dass wir was schaffen – aber jetzt lassen wir es mal auf uns zukommen.“