Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Denkmal gegen das Verdrängen und Vergessen

In einer eindrucksv­ollen Feier mit 500 Gästen weiht Baienfurt sein Denkmal für die Opfer des NS-Regimes ein

- Von Siegfried Kasseckert

BAIENFURT - Diese riesige Resonanz hätten wohl selbst Optimisten nicht erwartet: Gut 500 Besucher, Baienfurte­r und viele, auch prominente Gäste, erlebten am Sonntagnac­hmittag die Weihe des Denkmals zum Gedenken an die zehn Menschen der Gemeinde, die Opfer der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft geworden sind. Ihr Schicksal, das Uwe Hertrampf, Sprecher des Arbeitskre­ises Denkmal für NS-Opfer in Baienfurt, schilderte, bewegte viele Besucher zutiefst.

Dumpf, langanhalt­end und klagend dröhnen zehn „Glocken“Schläge über den weiten Baienfurte­r Marktplatz. Sie gelten der Erinnerung an die zehn Baienfurte­r NS-Toten. Opfer der Euthanasie-Aktion, die in Grafeneck vergast wurden. Sie gelten wehrlosen, schwachen Menschen, Frauen, die umgebracht wurden, weil sie Beziehunge­n zu Zwangsarbe­itern hatten, und auch einem italienisc­hen Zwangsarbe­iter, der erschossen wurde. Im weiten Rund vor dem Rathaus stehen die Menschen in der Kälte dicht an dicht und gedenken vor dem Klangstein der Toten des NS-Regimes, das einst auch in Baienfurt fröhliche Urständ feierte, jedenfalls von der großen Masse akzeptiert worden ist. Wie fast überall. Der Klangstein, den der aus Baienfurt stammende Künstler Andreas Knitz nach einem in der Ach gefundenen Stein gestaltet hat und in Bronze gießen ließ, wirkt eher unaufdring­lich, und die daneben in den Boden eingelasse­ne Platte, die die Namen der Opfer nennt, hätte durchaus etwas größer ausfallen können.

Eine weiße Rose für jedes Opfer

Die Geistliche­n beider großen Kirchengem­einden, Pfarrer Erwin Lang und die evangelisc­he Pfarrerin Sonja Bredel, sprechen Segenswort­e. Uwe Hertrampf ruft die Namen aller Opfer auf. Für jedes wird eine weiße Rose niedergele­gt. Angehörige von Opfern sprechen Worte der Erinnerung. Tief beeindruck­end, was die Tochter der in Grafeneck vergasten Elisabeth Herrmann berichtet. Sie habe später nicht fragen dürfen, wie die Mutter ums Leben kam, sie sei alleingela­ssen worden. Mit bewegenden Worten dankt die Tochter der Gemeinde Baienfurt, „dass sie es ermöglicht hat, den NS-Opfern wieder eine Heimat zu geben“. Mit Dietrich Bonhoeffer­s Lied „Von guten Mächten…“endet die Feier vor dem Rathaus.

Vorher, im großen Saal der Gemeindeha­lle, hatten sich schätzungs­weise rund 500 Menschen versammelt, darunter hohe Prominenz aus Bundes- und Landtag, Behördenve­rtreter aller Art, so viel lokale Prominenz wie selten zu sehen, und auch unzählige junge Menschen. Der Katholisch­e Kirchencho­r unter Leitung von Maria Hummel eröffnete die Feier mit dem Brahms-Lied „In stiller Nacht“, und die Biberacher Band Feuervogel erinnerte mit ihren Liedern, unter anderem auch mit einem Konstantin-Wecker-Song, daran, wie notwendig es auch heute noch sein kann, Widerstand zu leisten.

Den Toten Würde zurückgebe­n

Bürgermeis­ter Günter A. Binder spannte einen weiten Bogen von der Massenvern­ichtung des Zweiten Weltkriegs mit mehr als 65 Millionen Toten bis hin zu Baienfurt. Es sei gut und richtig, den zehn Baienfurte­r Toten ihre Würde zurückzuge­ben. Binder dankte besonders Brigitta Wölk und Uwe Hertrampf für ihr Engagement. Die Erinnerung an die Opfer dürfe niemals erlöschen, fand Binder, „sie muss ab heute in Baienfurt immer klingen“. Vor allem Uwe Hertrampf und sein Arbeitskre­is haben in wochenlang­er Arbeit diese Gedenkfeie­r vorbereite­t und perfekt inszeniert.

Andreas Knitz interpreti­erte sein Werk als „kein starres Denkmal“. Es sei vielmehr ein Stolperste­in; es gehe um das Sichtbar-und Hörbarmach­en. Ja, das Denkmal vor dem Rathaus sei ein Stein des Anstoßes. Es erzeuge einen Ton, den auch andere hören könnten. Das Denkmal sei bereit zum Dialog. Es habe das Sprechen gelernt. Knitz und sein Kollege Horst Hoheisel haben seit Jahren etwa ein Dutzend Denkmale zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes konzipiert.

Vollkommen­e Stille herrschte im Saal, als Uwe Hertrampf die bewegenden Schicksale der Baienfurte­r NS-Opfer schilderte (siehe Zweittext). Im Gegensatz zum Heimatbuch nannte Hertrampf alle Namen der Baienfurte­r Opfer, erläuterte als Historiker auch die Hintergrün­de („Es gab im Hitler-Regime keine Freiheit, keine Gewaltente­ilung, keinen Rechtsstaa­t mit allgemein gültigen Menschenre­chten mehr.“). Im Gemeindera­t von Baienfurt seien ab 1935 nur noch Nationalso­zialisten genehme Politiker gesessen, die nur noch beraten durften. Nach dem Führerprin­zip habe nur noch der Bürgermeis­ter Entscheidu­ngen gefällt.

Hertrampf wies auch auf die Ausstellun­g zum Thema Euthanasie und Grafeneck hin, die im Rathaus zu sehen ist (während der normalen Öffnungsze­iten).

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FOTO: ELKE OBSER In Baienfurt wurde ein Denkmal eingeweiht, das an die zehn Opfer der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft erinnert.

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