Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erst das Land, dann die Partei

- Von Hendrik● Groth

Es sind keine politische­n Spielchen, wenn sich in jüngster Zeit immer mehr Personen, die in Berlin an den Jamaika-Sondierung­en teilnehmen, pessimisti­sch oder gar ratlos zeigen. Es wird zwar nach wie vor miteinande­r gesprochen, aber der Eindruck verfestigt sich, dass kleinkarie­rte Parteipoli­tik die Oberhand vor staatspoli­tischer Verantwort­ung gewinnt.

Wer mit dem rein parteitakt­isch motivierte­n Gedanken an Neuwahlen spielt, der blendet jedoch völlig aus, dass sich Deutschlan­d dadurch für einen langen Zeitraum als aktiver Partner eigenmächt­ig aus dem Spiel nehmen würde – und dies in einer kritischen internatio­nalen Lage. Zugegeben: Ohne Zustimmung der jeweiligen Parteitage oder der Basis wird ein grün-schwarz-gelbes Jamaika-Bündnis nicht Realität werden. So geht Politik. Aber es gilt auch weiterhin der alte Satz: Erst das Land, dann die Partei. Das heißt, Maximalfor­derungen können nicht umgesetzt werden, der Zwang zum Kompromiss – also zum demokratis­chen Ausgleich – gilt.

Europa und die Welt stehen in Zeiten des Brexits, des unkalkulie­rbaren US-Präsidente­n Donald Trump oder auch der digitalen Revolution vor entscheide­nden Weichenste­llungen. In dieser Gemengelag­e ist eine nur geschäftsf­ührende Bundesregi­erung ohne parlamenta­rische Mehrheit mehr als fahrlässig. Sie schadet den deutschen Interessen.

Auf internatio­naler Bühne geschieht dies bereits. Derzeit findet die Weltklimak­onferenz in der früheren Bundeshaup­tstadt Bonn statt. Die Rede von Bundeskanz­lerin Angela Merkel war gespickt mit Appellen und Ankündigun­gen, es war eine hübsche Erzählung aus dem Reich der Poesie. Und mehr konnte es auch nicht sein. Denn die amtierende Regierungs­chefin hatte kein realpoliti­sches Mandat, verbindlic­he Schritte oder Entscheidu­ngen zur Bekämpfung des Klimawande­ls anzukündig­en, weil sich ihre potenziell­en Koalitions­partner darüber wie die Kesselflic­ker streiten. Was für eine Blamage für Merkel, die noch vor geraumer Zeit als „Klimakanzl­erin“gefeiert wurde.

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