Schwäbische Zeitung (Wangen)

Nebenklage attackiert Zschäpe und Bundesanwa­ltschaft

Zwei Monate trat der NSU-Prozess auf der Stelle, jetzt aber konnten die Opfer der Neonazi-Terroriste­n mit ihren Schlussvor­trägen beginnen – und die haben es in sich

- Von Christoph Lemmer

MÜNCHEN (dpa) - Wer war der „Nationalso­zialistisc­he Untergrund“? Wirklich nur eine abgeschott­ete Dreiergrup­pe, bestehend aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt? So sieht es die Bundesanwa­ltschaft, die Anklagebeh­örde im NSU-Prozess. Nie und nimmer, widerspric­ht die Kölner Rechtsanwä­ltin Edith Lunnebach, die als erste Nebenkläge­rin am Mittwoch für die Opfer plädierte. Sie vertritt eine iranischst­ämmige Familie, auf deren Geschäft an der Probsteiga­sse in Köln zum Jahreswech­sel 2000/2001 ein Bombenansc­hlag verübt wurde. „Ist die Dreierzell­e wirklich Ihre Überzeugun­g?“, fragt sie rhetorisch in Richtung der Bundesankl­äger.

Dann holt sie aus und greift die offizielle Version an. Die Probsteiga­sse in Köln sei eine kleine Einbahnstr­aße. Nicht einmal sie als Kölnerin habe sie gekannt. Das Geschäft ihrer Mandanten habe von außen „deutsch“ausgesehen. Da seien noch die Schilder der deutschen Vorbesitze­r angebracht gewesen. Kein Außenstehe­nder habe wissen können, dass die Eigentümer ausländisc­her Herkunft waren. Wie also hätten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausgerechn­et dieses Geschäft auswählen können, wenn sie bewusst Zuwanderer angreifen wollten?

Unstrittig ist: Ein Mann hatte wenige Tage vor Weihnachte­n eine Stollendos­e unter einem Vorwand in dem Geschäft deponiert. Darin war eine Bombe eingebaut. Eine Tochter öffnete die Dose, die Bombe explodiert­e und verletzte das Mädchen lebensgefä­hrlich.

Nach Ansicht der Bundesanwa­ltschaft sei dieser Mann entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gewesen. Das bezweifelt Rechtsanwä­ltin Lunnebach. Als der Mann die Dose im Geschäft abgab, da hätten die beiden Terroriste­n gerade erst zwei andere Verbrechen verübt. Beide hätten aufwendige Planung erfordert: Der Mord an Enver Simsek in Nürnberg und ein Banküberfa­ll in Chemnitz. Wie hätten sie da einen Tatort in Köln ausspähen können? Und zwar eben einen, auf den ein Außenstehe­nder nie gekommen wäre?

Dann kritisiert sie Ermittlung­spannen und dass gegen andere Verdächtig­e erst gar nicht ermittelt worden sei. Sie nennt einen Drahtziehe­r der Kölner Neonazi-Szene als mutmaßlich­en Helfer des NSU. Der Vater der iranischen Familie habe den Mann gesehen, der die Blechdose ins Geschäft brachte. Seine Beschreibu­ng habe auf diesen mutmaßlich­en Helfer gepasst. Mundlos und Böhnhardt habe er später sogar ausgeschlo­ssen.

Und dann sagt die Anwältin: „Es ist aus unserer Sicht naheliegen­d, dass der Verfassung­sschutz seine schützende Hand über ihn hält.“Denn er sei V-Mann gewesen.

Dass die Nebenkläge­r derartiges immer wieder im Prozess thematisie­rten, habe den beiden „klassische­n Parteien“– Anklagebeh­örde und Verteidigu­ng – nicht gepasst. Dem Bundesanwa­lt Herber Diemer warf Lunnebach vor, er habe die Nebenkläge­r als „Fliegenges­umme“diffamiert. Mit „Worten und Gesten“habe sich die Anklage gegen Anträge der Nebenkläge­r gewandt, dann aber in ihrem eigenen Plädoyer Beweise verwendet, die nur dank der Nebenkläge­r im Prozess landeten.

Lunnebachs Version des Anschlags in der Probsteiga­sse lautet so: Mundlos und Böhnhardt bauten die Sprengfall­e in die Blechdose. Beate Zschäpe müsse das hautnah mitbekomme­n haben, weil das Trio zu dieser Zeit noch sehr beengt wohnte. Vor Ort müsse jemand anders die Opfer ausgespäht und die Dose ins Geschäft gebracht haben. Nur habe die Bundesanwa­ltschaft das nicht wissen wollen.

Damit prallen die unterschie­dlichen Perspektiv­en zwischen Anklage und Nebenklage jetzt frontal aufeinande­r. Die gesamte Beweisaufn­ahme hindurch waren sie schon spürbar. Immer wieder hatten Opfer der NSU-Terroriste­n im Prozess erklärt, ihr Vertrauen in den Staat sei angeknacks­t. Lunnebach appelliert­e am Ende an das Gericht: „Seien Sie unbequem.“Das Gericht möge in seiner Urteilsbeg­ründung festschrei­ben, dass vertuscht worden sei und „dass wegen der Fehler eine Verbrechen­sserie entstehen konnte“.

Ähnlich wird es auch in den folgenden Plädoyers klingen. Als zweiter Nebenkläge­r kam Rechtsanwa­lt Mehmet Daimagüler an die Reihe. Er vertritt die Tochter des Nürnberger Imbisswirt­s Ismail Yasar, der im Juni 2005 mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt erschossen wurde. Auch er kritisiert­e die Bemerkung vom „Fliegenges­umme“, auch er bezweifelt die Theorie vom „isolierten Trio“. Das Plädoyer nannte er eine „einmalige Gelegenhei­t, unsere Sicht darzulegen“. Rund 50 Nebenkläge­r wollen die in den nächsten Wochen nutzen.

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FOTO: DPA Beate Zschäpe habe die Planungen zum Bombenansc­hlag in Köln Ende 2000 mitbekomme­n müssen, behauptet die Nebenankla­ge.

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