Ein „Jedermann“in barocker Pracht
Theater-Kompagnie-Stuttgart gastiert mit Hugo von Hoffmannsthals Klassiker in der St. Martinskirche
WANGEN - Worum es in dem Mysterienspiel „Jedermann“von Hugo von Hofmannsthal geht, ist bekannt. Um „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Es in barocke Zeit zu verpflanzen und in einem adäquaten Kirchenraum zu inszenieren, ist neu. Zumindest für diese Region. Die Theater-Kompagnie Stuttgart hat am Dienstagabend auf Einladung des Theaterbeirats der Kulturgemeinde die St. Martinskirche zum Spielort erklärt. Damit stieß ihr „Jedermann“in barocker Pracht auf viel Zuspruch.
Eine Bühne aus harten Brettern, den Chor mit schwarzen Tüchern bis hoch zur Decke verhängt, ein langer Tisch, ein Spiegel, einige Podeste. Mehr nicht. Dafür Kostüme, die das barocke Leben und die Ausschweifungen des reichen Mannes kaum besser hätten versinnbildlichen können. Cornelia Elter, die abwechselnd in der Rolle von „Spielansager“, „Armer Nachbar“und „Gott der Herr“zu sehen war, zeichnet für die Ausstattung verantwortlich. Unter ihrer und Christian Schlössers Regie ist ein zupackender Jedermann mit Till Schneidenbach in der Hauptrolle entstanden.
Bewusst, so Schlösser, hätte er sich für die Zeit des Barock entschieden. Im Kontrast zu den vielen modernen Ausstattungen. Schönstes und ausladendes Beispiel ist die festliche Szene. Ein üppiges Gelage zu Schalmeienklängen aus dem Off. Angeführt von Jedermanns Buhlschaft (Elena Vodoloskina) genießt die stattliche Gesellschaft das Leben in vollen Zügen. Bilder, so Christian Schlösser, die für die Dekadenz in einstigen Adelskreisen stehen. Mittendrin Jedermann, der sich bereits krank und schwach fühlt, der Glocken läuten hört, dem schwant, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
St. Martin bietet bestes Ambiente
Eingebettet ist diese aufgeladene, darstellerisch ungeheuer präsente Szene in das barocke Ambiente des Kirchenraums. Mit den goldleuchtenden Seitenaltären, dem hohen, von Säulen umstandenen Raum, der sich gen Kirchenschiff hin öffnet. Was sich als problematisch erwies, zumindest zu Beginn des Stücks, war die Akustik. Gerade durch die ungewohnte Weite und den Hall ging von den Textpartien doch einiges verloren, bis sich das Ensemble gefangen hatte.
Die ungebrochene Aufmerksamkeit galt ohne Frage Till Schneidenbach. Mit langer, zurückgekämmter Haarmähne bot er das Bild eines kraftvollen Mannes in den so genannten besten Jahren, der auf Grund seines Standes mehr oder weniger schalten und walten konnte wie er wollte. Warum sollte er also so früh dem Tod geweiht sein, ergibt sich aus scheinbaren Zufallsbegegnungen mit einem armen Nachbarn, dem er nichts zugestehen will oder der brutalen Abweisung des Schuldners. Den spielt Christoph Daecke zusammen mit Anetta Dick als „des Schuldknechts Weib“und zwei Wangener Kindern.
Hier blieb einem schon mal die Luft weg, wenn „Jedermanns guter Gesell“(Sebastian Kutz) den Schuldner mit Füßen tritt und Jedermann keine Gnade kennt. Gebe er doch nur demjenigen Ehr, der Ehr verdiene. „Dies ist eine erzverdriesliche Sach’. Am allerschönsten Tag hinein gezogen in Hader. Aufgeschreckt in deiner Ruh´“, tönt es aus Richtung Spielansager. War Jedermann doch kurz zuvor noch bester Dinge, sich einen neuen Lustgarten zu gönnen.
Till Schneidenbach versteht es, diese emotionalen Wechselbäder auszukosten: mit Bravour und einer wuchtigen Bühnenpräsenz. Ihm nimmt man alles ab. Auch die Zusammenkunft mit seiner Mutter, die ebenfalls Cornelia Elter spielt. Als die, die ihren Sohn warnt, aber der entnervt alles in den Wind schlägt. Nur hört er Stimmen und Gesänge, dass ihm angst und bange wird. Ihm dämmert, es geht ums Ganze.
„Ach, das ist aller Dinge End’“, entschlüpft ihm, nachdem keiner ihm auf dem Weg vor Gottes Richterstuhl folgen will. Dieser Prozess vom reichen zum bitterarmen Mann, der die letzten Goldstücke an sich rafft, während der Federschmuck bekrönte Mammon (Christoph Daecke) sich ausschüttet vor Lachen, verliert keinen Moment an dramatischer Spannung. Geradezu angesprungen füllt man sich als Zuschauer von Jedermanns Uneinsichtigkeit mit dem Tod (Lou Dömeland) im Genick.
Von seinem Flehen um eine letzte Frist, die er auch um ein Haar verprasst. Von einer besonderen Atmosphäre gerade in der Schlussszene und einem aufmerksamen Publikum, das zudem sehr zahlreich erschienen war, sprach Cornelia Elter im Nachhinein. Wenn Jedermann, gerade noch den Fängen eines lustvoll umtriebigen Teufels (Sebastian Kutz) entronnen, sich die Treppen zum Thron hochhievt und Gott ihm verzeiht.