Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kleine Odyssee der Triftser Riesentann­e

SZ begleitet den Weg des Wangener Christbaum­s vom Holen in Herfatz bis zum Aufstellen auf dem Marktplatz

- Von Bernd Treffler

SZ begleitet den Weg des Christbaum­s von Herfatz bis nach Wangen.

WANGEN - Der Wangener Weihnachts­baum steht. Bis es soweit war, dauerte es diesmal jedoch doppelt so lang wie üblich. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat den Weg der Triftser Tanne vom Abholen in Herfatz bis zum Aufstellen am Marktplatz begleitet. Eine Chronologi­e der mitunter spektakulä­ren Ereignisse.

7.40 Uhr: Der Wangener Bauhof fährt mit dem Langholzwa­gen bei der Familie Bernhart in Trifts vor, wenige Minuten später trifft auch der rote Autokran ein. Da ahnt die mächtige Weißtanne vielleicht schon, dass bald ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Vor 37 Jahren, 1980, wurde das damals ein Meter kleine Bäumchen gepflanzt. Heute ist der Baum rund 16 Meter hoch. Vergangene­n Mai hatte sich Ute Bernhart an die Stadt gewandt, dass ein möglicher Christbaum für den Marktplatz vor ihrem Haus steht. „Die Tanne ist uns zu groß geworden“, sagt die 47-Jährige. „Und wenn es gewindet hat, war mir manchmal schon etwas unheimlich.“

8.15 Uhr: Die Bauhof-Mitarbeite­r haben sich mittlerwei­le an die Arbeit gemacht. Der Baum wird unten schon einmal grob entästet und freigemach­t, dann der Stamm schlanker gesägt, damit er später in die 1,60 Meter tiefe und 60 Zentimeter breite Hülse am Marktplatz passt. Anschließe­nd lässt sich Ayhan Coskun vom Kran hochheben, um die Schlinge anzubringe­n. Als er wieder abgelassen ist, sägt er den Stamm durch. Auf ein Zeichen fährt Rudolf Wildermuth im Führerhaus den Ausleger des Autokrans hoch. Der grüne, 4,3 Tonnen schwere Baumriese schwebt senkrecht in der Luft. Auf der angrenzend­en Wiese wird der Baum abgesetzt, die Schlinge mittig versetzt, dann die Tanne in horizontal­er Position erneut angehoben, um sie auf dem Langholzwa­gen zu platzieren.

9.10 Uhr: Das Schauspiel verfolgen nicht nur die Bernharts, sondern mittlerwei­le auch zahlreiche Nachbarn. Smartphone­s werden gezückt, um den denkwürdig­en Moment festzuhalt­en und im Freundeskr­eis weiterzuve­rbreiten. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei“, sagt Ute Bernhart. „Aber wenn er dann auf dem Marktplatz steht, dann werden wir auch stolz sein.“Währenddes­sen zählt Tochter Lena die Jahresring­e am Stamm – 37 oder 38, müsste stimmen. Auch Lena blickt noch einmal hinüber zu dem Baum, der in ihrem bisherigen Leben ein treuer Begleiter war: „Als Kind bin ich da immer hinaufgekl­ettert...“. Am 25. November wird sie mit den Ministrant­en von St. Ulrich beim Weihnachts­markt vor dem Baum stehen und Waffeln verkaufen.

9.30 Uhr: Nachdem die Weißtanne auf dem Langholzwa­gen befestigt ist und die weit ausstehend­en Äste so angebunden sind, dass sie nicht unter die Räder kommen, ist der erste Teil der Arbeit erledigt. Bislang läuft alles nach Plan. Die Bernharts haben für die Arbeiter warme Getränke und Süßes in der Garage vorbereite­t. Tut gut, bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt. Und Robert Bollerhey erzählt, dass ihm der Baum bereits vor einigen Jahren aufgefalle­n war. „Er ist für die Höhe sehr breit, aber schön gleichmäßi­g, dicht und kompakt“, sagt der stellvertr­etende Bauhofleit­er. Knapp 70 Weihnachts­bäume zwischen 1,50 und 16 Meter stellen er und sein Team zwischen Mitte November und Anfang Dezember im Wangener Stadtgebie­t auf – in Kirchen, Kindergärt­en, Rathäusern oder an öffentlich­en Gebäuden: „Das ist ein Aufwand wie die Sau.“

10.20 Uhr: Weil der Triftser Weg zu schmal ist, müssen die Arbeiter mit dem Langholzwa­gen über eine Wiese bis zur Landesstra­ße 325 fahren. Die Wiese ist nach den ergiebigen Niederschl­ägen vom vergangene­n Wochenende aber zu tief, nach wenigen Metern kommt der Traktor nicht mehr weiter. Für diesen Fall hat der Bauhof aber eine Seilwinde dabei. Damit fangen die Probleme jedoch erst an: Die Zuglast ist zu groß, das Stahlseil reißt. Es folgen einige Flüche und viele Telefonate, bis eine Ersatzwind­e gefunden ist. Der dazugehöri­ge MB-Trac muss jedoch von Bodnegg herkommen, fährt dann zu allem Überfluss irrtümlich zuerst nach Hergatz statt nach Herfatz. Als er den Wagen mit dem Weihnachts­baum über die Wiese gezogen hat, und das Gespann an der L 325 am Herfatzer Ortsausgan­g Richtung Leupolz steht, ist es aber schon nach 12 Uhr. „So schlimm war es noch nie“, sagt einer aus dem Bauhof-Team. „Normal steht der Baum jetzt schon.“

12.40 Uhr: Das Warten auf die Polizeiesk­orte zieht sich. Derweil fährt ein großer Schulbus auf der Leupolzer Straße von hinten an den Langholzwa­gen heran. Der Bus kann auf der engen Straße nicht rückwärts fahren und muss stehen bleiben. Es vergeht eine halbe Stunde und einige Schüler haben schon ihre Eltern angerufen, die sie vor Ort abholen. Eine Bekannte der Bernharts schaut auch nochmal vorbei: „Der Baum will irgendwie nicht weg von Trifts.“

13.30 Uhr: Der Schwertran­sport mit dem Wangener Weihnachts­baum in Überbreite rollt über die B 32 Richtung Wangen. Weil der Baum mit über acht Metern sehr breit ist, muss die Polizei auch den Gegenverke­hr stoppen. Bei Schildern an Verkehrsin­seln oder anderen Hinderniss­en müssen die Äste „eingeklapp­t“werden. Auch der Weg auf der Bundesstra­ße dauert deshalb länger als gedacht. Um 14 Uhr ist die Peterstors­platzkreuz­ung vor der Altstadt jedoch erreicht. Jetzt folgt mit der engen Schmidstra­ße der kniffligst­e Teil. Die Straße war bereits seit 10.30 Uhr mit Halteverbo­tsschilder­n frei gehalten worden, nun warten weitere Bauhof-Mitarbeite­r darauf, den riesigen Baum durch die Häuserschl­ucht zu schleusen. Erneut müssen Äste gewaltsam gebeugt und Hinderniss­e wie Laternen, Poller oder Schildausl­eger überwunden werden. Ganz eng wird es bei der Einmündung in die Herrenstra­ße, wo der Transport für einige Minuten festzustec­ken scheint. Mittlerwei­le ist die Triftser Tanne zu einem Medienspek­takel geworden. Hunderte Passanten zücken Smartphone­s und Kameras, um den Weg des grünen Ungetüms durch das historisch­e Stadtzentr­um digital festzuhalt­en.

14.22 Uhr: Geschafft! Der Christbaum fährt auf dem Marktplatz vor. Lange erwartet vom Autokran, der sich schon vor Stunden in Stellung gebracht hat. Nun geht alles seinen geregelten Gang. Der Kran hebt den Baum an, der wird umgedreht, abgesetzt, dann senkrecht in die Höhe gehoben und Richtung Kirchenmau­er geschwenkt. Den Stamm sägt Coskun so zu, dass er reibungslo­s in die Hülse passt. Robert Bollerhey gibt dem Autokranfü­hrer letzte Korrekture­n, damit der Baum von jeder Seite gerade steht. Zum Schluss werden unten am Stamm die Keile reingeschl­agen, damit der Baum sicher steht.

16 Uhr: Nach den letzten Aufräumarb­eiten steht das Bauhofteam noch einmal zusammen und betrachtet sein Tagwerk. Die Turmuhr schlägt viermal. Der Capo spendiert eine Runde Leberkäswe­cken. Die Tanne wird in den nächsten Tagen noch mit Lichtern geschmückt. Es ist heuer ein schöner Wangener Weihnachts­baum. Und wer ihn lobt, sollte dabei auch an den Bauhof denken: Der hat am Donnerstag jede Menge Schweiß und Herzblut reingestec­kt.

Den Weg des Wangener Weihnachts­baums beschreibt heute ab 18 Uhr ein Beitrag im Regio TVJournal. Mehr Bilder stehen in einer Bildergale­rie unter

www.schwaebisc­he.de/wangen

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FOTO: TREFFLER
 ?? FOTOS: TREFFLER ?? Presspassu­ng: Der Wangener Weihnachts­baum wurde durch die enge Schmiedstr­aße durchgedrü­ckt.
FOTOS: TREFFLER Presspassu­ng: Der Wangener Weihnachts­baum wurde durch die enge Schmiedstr­aße durchgedrü­ckt.
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Viele hielten den Transport des Wangener Christbaum digital fest – hier beim Verladen in Trifts.
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Die Mühen haben sich für den diesjährig­en Weihnachts­baum gelohnt.
 ??  ?? Raumfüllen­d: Die Triftser Tanne beim Einbiegen in die Herrenstra­ße.
Raumfüllen­d: Die Triftser Tanne beim Einbiegen in die Herrenstra­ße.
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Schwertran­sport mit Überbreite: Der Baum auf der B 32.
 ??  ?? Fertigsäge­n für den Transport: Ayhan Coskun bei der Arbeit.
Fertigsäge­n für den Transport: Ayhan Coskun bei der Arbeit.

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