Ein erster Sprung zur Euphorie
In Wisla beginnt für die Skispringer eine Saison mit Tournee, Skiflug-WM und Olympia
Olympiawinter ist. Da kann die Frage nicht ausbleiben nach den Medaillenchancen in Pyeongchang. Werner Schuster, Skisprung-Bundestrainer seit neuneinhalb Jahren, sah sich mit ihr schon bei der Athleten-Einkleidung in Künzelsau konfrontiert, lange vor dem Weltcup-Start jetzt in Polen. Die Sommersprünge auf Porzellanspur und Matte waren gerade Geschichte, das Athletiktraining in Spanien auch, Lehrgänge in Garmisch-Partenkirchen und Oberstdorf mit vereistem Anlauf standen an. Ernstfall proben! Davor eine Edelmetallprognose? „Eine Einzelmedaille“, Werner Schuster sagte es mit Bedacht, „wär’ sicher mal an der Zeit.“
Vancouver 2010 hatte mit den Rängen fünf (Michael Uhrmann, Normalschanze) und sechs (Michael Neumayer, Großschanze) geendet. 2014 in Sotschi fehlten Severin Freund als Großschanzen-Viertem 2,6 Punkte zu Bronze, Andreas Wellinger (Normalschanze) und Marinus Kraus (Großschanze) wurden jeweils Sechste. Jetzt aber? „Glaub’ ich, wenn alle in Form sind, sollte einer in der Lage sein, eine Einzelmedaille zu machen.“
Die Form – sie ist der Part des Trainerteams. Ein besonders kniffliger Part in der Skisprung-Saison 2017/18: 31 Weltcup-Wettbewerbe (23 Einzel; acht im Team) stehen bis 25. März im Kalender, mit Vierschanzentournee und „Raw Air Tournament“in Norwegen als Höhepunkten. Drei Wochen vor den Olympischen Spielen wird überdies – in Oberstdorf – der SkiflugWeltmeister gekürt (18. bis 21. Januar). Ein forderndes Programm. Mit Folgen für den Sommer: Ausgesucht waren die deutschen Starts in der GrandPrix-Serie; Priorität hatte eine „sehr ruhige, konzentrierte Vorbereitung“(Werner Schuster), die fit machen sollte für zehrende Zeiten.
Dynamik im System
Eine „reine Fokussierung auf Olympia“nämlich, weiß Werner Schuster, wäre angesichts einer Heim-WM plus vier Weltcups im eigenen Land (Titisee-Neustadt, Oberstdorf, GarmischPartenkirchen, Willingen) schlicht „nicht machbar“. Für „möglich“hält sie der Bundestrainer außerdem nicht: „Skispringen ist eine Verzahnung von Technik, Material, Selbstvertrauen, Psychologie – da kann ich das nicht so auf den Punkt hinbringen.“ Also gebe es nur eine Strategie: „Wir müssen schauen, dass wir eher erholt in die Saison gehen.“
Die beginnt dieses Wochenende in Wisla (Qualifikation Fr., 18 Uhr/Eurosport; Teamspringen Sa., 16 Uhr/Eurosport und ZDF; Einzelspringen So., 15 Uhr/Eurosport und ZDF) für ein Septett: Zu Andreas Wellinger (SC Ruhpolding; 2016/17 Gesamtweltcup-Vierter), Markus Eisenbichler (TSV Siegsdorf; Achter), Richard Freitag (SG Nickelhütte Aue; 13.), Karl Geiger (SC Oberstdorf; 18.), Stephan Leyhe (SC Willingen; 22.) und David Siegel (SC Baiersbronn; 61.) gesellt sich Pius Paschke. Der LandeskaderAthlet vom WSV Kiefersfelden hat dem Deutschen Skiverband mit seinem starken Sommer im Continental Cup einen siebten Weltcup-Startplatz bis Weihnachten ersprungen – für Werner Schuster ein Indiz für „insgesamt sehr viel Dynamik im System“.
Nicht das einzige: Auch David Siegel ist hier zu nennen. Nach nur zwei Weltcup-Einsätzen hatte eine Sprunggelenkentzündung den 21-Jährigen aus Sulz-Dürrenmettstetten vergangenen Dezember zum Zuschauen verurteilt. Verzögerte Heilung, Operation schließlich, der Bundestrainer sprach von einer „fast schon tragischen Komponente, dass ein junger Mensch so auf die Probe gestellt wird“. Anfang August erst ist der Junioren-Weltmeister von 2016 auf die Schanze zurückgekehrt, noch fehlt seinen Versuchen die Konstanz. Umso erstaunlicher, dass er sich gegen Andreas Wank (SC Hinterzarten) und Constantin Schmid (WSV Oberaudorf) durchgesetzt hat, als der letzte Platz in der Weltcup-Mannschaft ausgesprungen wurde. Merke: „Im Moment erwartet niemand mehr etwas von mir. Dadurch verspüre ich gar keinen Druck.“
Der Blick richtet sich auf andere nach Severin Freunds Ausfall. Auf Andreas Wellinger etwa. Werner Schusters Eindruck: „Der hat sich toll entwickelt – persönlich, aber auch körperlich. Er steht kompakter da, das ist noch mal ein Schritt nach vorne.“Markus Eisenbichler begleitet der bundestrainerliche Wunsch, „dass er die Lockerheit beibehält“, die bei ihm so sehr trägt. Richard Freitag hat sich im Juli der Trainingsgruppe in Oberstdorf angeschlossen, weil er sich „so oft wie möglich mit den Besten messen“möchte. Was den Bundestrainer hoffen lässt: „Sein letzter Sommer war ein deutlich schlechterer!“Bleiben Karl Geiger und Stephan Leyhe. „Springer, die sich sehr langsam entwickeln“ seien beide – „die sich aber immer noch entwickeln. Da zeigt der Pfeil nach wie vor nach oben.“
Olympiawinter ist. Da hat Wisla, haben die ersten deutschen Schneesprünge 2017/18 natürlich mit Pyeongchang zu tun. „Zumindest den Anschlussbereich“peilt Werner Schuster für seine Besten in Polen an. „Das heißt, bei den ersten zehn, 15 dabei zu sein – und dann schon bei der Tournee und der Skiflug-WM gut zu springen.“Gelinge das – und davon sei er überzeugt –, „hat jeder so viel Power, so viel Selbstvertrauen, so viel Energie, dass er mit der Euphorie auch zu Olympia fährt“. Dort übrigens gab es 2010 Team-Silber, 2014 gar Gold. Aber das ist eine andere Geschichte.
Severin Freund denkt nach seinem zweiten Kreuzbandriss nicht an das Karriereende. „Ich weiß, dass noch genug Potenzial da ist. Ich kann körperlich auf jeden Fall auf das Niveau kommen, dass ich wieder konkurrenzfähig werde. Und die Technik verlernt man nicht“, sagte der 29-jährige Skisprung-Weltmeister von 2015. Freund war im Juli – im zweiten Sprungtraining nach der Genesung – erneut das Kreuzband im rechten Knie gerissen.