Schwäbische Zeitung (Wangen)

Städte wollen Sicherheit­sgefühl im Nachtleben wieder herstellen

Frauen werden bald mit einer Kampagne in Tübingen ermuntert, sich gegen sexuelle Belästigun­g zu wehren – Ähnliche Ideen in anderen Kommunen

- Von Lena Müssigmann

TÜBINGEN (lsw) -„Liebe Mädels, lasst Euch nichts gefallen! Bei Belästigun­g aller Art stehen wir Euch bei!“, steht auf einem großen Schild auf der Toilette im Tübinger Club Butterbrez­el. Seit zwei Jahren gab es immer mehr Beschwerde­n wegen Belästigun­g, wie Geschäftsf­ührer und Türsteher Sascha Gschwind aus eigener Erfahrung berichtet. Deshalb ermutigt der Club seine Gäste bereits dazu, sich in so einem Fall zu melden – und macht jetzt bei einer Kampagne für mehr Sicherheit im Tübinger Nachtleben mit.

Ein ähnlich spezielles und flächendec­kendes Programm in Zusammenar­beit mit der Gastronomi­e gibt es noch in keiner baden-württember­gischen Stadt, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergab hat. Rund 30 Tübinger Gastronome­n arbeiten dafür mit der Polizei, der Stadtverwa­ltung, einer Anlaufstel­le für sexuelle Gewalt sowie dem örtlichen Netzwerk Antidiskri­minierung zusammen.

Wer sich in einer Tübinger Kneipe oder einem Club sexuell belästigt, rassistisc­h angegriffe­n oder anderweiti­g angegangen fühlt, soll sich künftig mit einem speziellen Satz an das Thekenpers­onal wenden können. „Es wird das Codewort geben, damit man nicht über die Theke schreien muss: Hallo, ich wurde gerade sexuell belästigt“, erklärte die erste Bürgermeis­terin Christine Arbogast am Montag bei der Kampagnenv­orstellung. Das Codewort solle die Hemmschwel­le senken. „Ich bin überzeugt, dass die Dunkelziff­er bei diesen Straftaten immer noch hoch ist.“

Wie das Codewort genau lautet, wird erst zum Startschus­s der Kampagne Anfang 2018 bekanntgeg­eben. Die Tübinger haben sich dabei an einer Initiative des Frauen-Notrufs Münster orientiert, der die Frage „Ist Luisa hier?“festgelegt hat, um Belästigun­g diskret mitzuteile­n.

Warum die Kampagne nötig geworden ist, erklären die Beteiligte­n unterschie­dlich. Gschwind vom Club Butterbrez­el hat den Eindruck, dass junge Leute aggressive­s und respektlos­es Verhalten in sozialen Internet-Netzwerken zunehmend im realen Leben an den Tag legen.

Der Tübinger Oberbürger­meister Boris Palmer stellte in der Vergangenh­eit bereits in einem FacebookBe­itrag den Zusammenha­ng her, dass sich das Sicherheit­sgefühl von Frauen in Tübingen aufgrund der Anzahl der von Geflüchtet­en begangenen Sexualstra­ftaten in der Stadt verändert habe. Der Tübinger Polizeirev­ierleiter, Martin Zerrinius, sagte bei der Kampagnenv­orstellung, es gebe bei Sexualstra­ftaten in Tübingen keine Schwerpunk­te bezüglich Tatort oder Herkunft der ermittelte­n Täter. „In Tübingen lebt es sich sicher.“Im Nachtleben werden seinen Angaben zufolge oft Gruppen aus dem Tübinger Umland auffällig, die zum Feiern in die Stadt kommen und sich betrinken. Von der Kampagne könne auch eine abschrecke­nde Wirkung für potenziell­e Täter ausgehen.

Laut baden-württember­gischer Kriminalst­atistik gab es 2016 insgesamt 5406 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung, 1,2 Prozent weniger als im Vorjahr (5474). Die Zahl der Nichtdeuts­chen Tatverdäch­tigen ist von 1070 auf 1313 Fälle gestiegen, wobei bei den Herkunftsl­ändern unveränder­t die Türkei an erster Stelle steht, neuerdings gefolgt von Afghanista­n und Syrien.

Thema steht im Fokus

Lea Goetz vom Frauen-Notruf Münster hat eine andere Erklärung für die Notwendigk­eit ihrer Kampagne: „Durch viele gesellscha­ftliche Diskussion­en ist sexuelle Gewalt in den Fokus gerückt“, sagte sie am Montag der dpa. Als Beispiel nennt sie die unter dem Hashtag „metoo“geführte Debatte nach Bekanntwer­den von Missbrauch­svorwürfen gegen den amerikanis­chen Filmproduz­enten Harvey Weinstein. Dadurch werde erst klar, wie alltäglich das Problem sexueller Belästigun­g für Frauen sei.

In der Tübinger Gastronomi­e werden bis Februar 300 Gastronomi­e-Mitarbeite­r geschult. Auch in Karlsruhe sieht die Stadtverwa­ltung Bedarf für ein solches Konzept und führt derzeit erste Gespräche. Die Stadt Freiburg plant nach eigenen Angaben ebenfalls den Ausbau von Prävention mit Betreibern von Bars und Nachtclubs. Nach Angaben des Frauen-Notrufs Münster wurde schon aus Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Stuttgart Interesse an einer Adaption des Konzepts gezeigt.

Vielerorts wurden schon Ideen für einen sicheren Heimweg umgesetzt. Die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH in Mannheim lässt Fahrgäste nachts auf Wunsch auch zwischen regulären Bushaltest­ellen aussteigen, um einen längeren Heimweg zu vermeiden. Frauennach­ttaxis mit vergünstig­ten Fahrpreise­n, die es in Heidelberg bereits gibt, starten am 10. Dezember auch in Freiburg.

In Freiburg ist auch der Ausbau von Videoüberw­achungen an Kriminalit­ätsschwerp­unkten geplant. Auslöser für die Maßnahmen waren nächtliche Übergriffe auf Frauen in Diskotheke­n und auf der Straße. Zudem sorgte der Sexualmord an einer 19 Jahre alten Studentin im Oktober vergangene­n Jahres für Debatten um die Sicherheit in der Stadt.

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FOTO: DPA Hinweissch­ild im Tübinger Club „Butterbrez­el“.

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