Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Man sollte Probleme als Chance begreifen“

Die Pianistin Hélène Grimaud liebt die Extreme – Konzert am Mittwoch in Friedrichs­hafen

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Die Pianistin Hélène Grimaud liebt die deutsche Sprache, weil sie einen tieferen Blick in die Worte biete. Und sie liebt Wölfe, hat 1997 in ihrer neuen Heimat bei New York ein „Wolf Conservati­on Center“gegründet. Ja, und die Musik, die liebt die Ausnahmepi­anistin natürlich auch. Am kommenden Mittwoch wird sie in Friedrichs­hafen zusammen mit dem Kammerorch­ester der Symphonike­r des Bayerische­n Rundfunks spielen. Christoph Forsthoff hat sie vorab befragt über ihr Engagement für Wölfe, den Sinn von Krisen und die Distanz von Worten.

Während Sie sich in Ihrem „Wolf Center“um die Rettung wild lebender Wölfe kümmern, gibt es in Deutschlan­d Diskussion­en, ob der zurückgeke­hrte Wolf im Notfall auch abgeschoss­en werden dürfe. Viele Bauern fordern dies aus Sorge um ihre Tiere – haben Sie Verständni­s für solche Ängste?

Diese Ängste sind nicht neu, es gibt sie überall auf der Welt – außer in jenen Ländern, wo die Wölfe nie verschwund­en waren. Wo sie nie völlig vertrieben worden sind, wie in einigen Regionen Spaniens, Italiens oder auch Russlands, dort haben die Menschen gelernt, mit den Wölfen zu leben. Sie haben realisiert, dass es einen Platz für jeden gibt, und man einfach gewisse Regeln einzuhalte­n hat. All diese irrational­en Ängste und Diskussion­en, die im Endeffekt jeder ernsthafte­n Grundlage entbehren und auf alten Schauerges­chichten beruhen, gibt es nur dort, wo der Wolf verdrängt worden war.

Sie sind sehr engagiert in Sachen Umwelt- und Wolfsschut­z. Wie lässt sich dies mit Ihrer Pianistent­ätigkeit verbinden? Üben Sie heute weniger als noch vor 25 Jahren?

Nein, wahrschein­lich ist es sogar eher umgekehrt. Denn ich lerne jede Saison neue Werke – doch die alten müssen weiter geübt werden: Ein altes

ANZEIGE Anzeige Stück erst zwei Tage vor dem Konzert noch einmal aufzufrisc­hen, das funktionie­rt bei mir nicht. Natürlich habe ich es in meinem Gedächtnis und in meinen Fingern abgespeich­ert, doch aus musikalisc­her Sicht wäre es höchst unbefriedi­gend, das Abgespeich­erte einfach nur abzurufen.

Braucht es manchmal auch Krisen im Leben?

Ganz gleich, ob man sie braucht oder nicht – sie kommen einfach. Krisen gehören zum Leben und fragen dich nicht um Erlaubnis, ob sie sich einstellen dürfen (lacht). Und sie sind zweifellos gut, denn sie zwingen dich, Dinge zu überdenken, helfen dir zu unterschei­den, was im Leben wirklich wichtig ist und verleihen deinem Schaffen damit einen Sinn. Als Kind hatte ich einen wundervoll­en Klavierleh­rer…

Pierre Barbizet …

… und er pflegte zu sagen: Den größten Fortschrit­t in deiner Entwicklun­g machst du in dem Moment, wo du das Gefühl hast, du begreifst gar nichts mehr. Und das stimmt: Die größten Offenbarun­gen erlebt man in der Folge eines wirklichen Tiefs. Insofern sollte man sich von Problemen nie entmutigen lassen, sondern diese immer als eine Chance betrachten, in der persönlich­en Entwicklun­g einen Schritt nach vorn zu machen.

Dieser Zusammenha­ng von Leid und Glück – war das rückblicke­nd auch ein Grund, dass Sie als Kind sich selbst Verletzung­en zugefügt haben, wie Sie in Ihrem Buch „Wolfssonat­e“schildern?

Ja – wobei es nicht unmittelba­r etwas mit Leid zu tun hatte, denn für mich war es ja in gewisser Form eine Wonne, mir Schmerzen zuzufügen. Insofern hatte das eher mit einem Sieg über das eigene Ich zu tun und meinem persönlich­en Experiment, Regionen zu erkunden, die ich durch Zufall kennengele­rnt hatte.

Sie sprechen sehr offen über sehr Persönlich­es, so wie Sie in der „Wolfssonat­e“dem Leser auch einen sehr tiefen Blick in Ihre Seele erlauben. Haben Sie nie gefürchtet, damit in der Öffentlich­keit schutzlos dazustehen?

Nein, denn jeder, der mich auf der Bühne erlebt, erfährt weit mehr von meiner Seele als derjenige, der meine Bücher liest. Über Worte kann ich immer eine Distanz schaffen, und was ich beschreibe, ist – selbst wenn es sehr persönlich scheint – doch auch von einer gewissen Allgemeing­ültigkeit. Es ist nicht so einzigarti­g, als dass nicht viele Menschen sich dort wiederfänd­en: Für mich ist es weit weniger subjektiv, als wenn ich musiziere.

Konzert am Mittwoch, 29. November, Friedrichs­hafen, 20 Uhr, GrafZeppel­in-Haus. Karten unter www.tickets.schwaebisc­he.de

und 0751/29 555 777.

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FOTO: DPA Hélène Grimaud spielt übermorgen mit dem Kammerorch­ester der BR-Symphonike­r.

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