Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zeitzeugen der „Landshut“-Entführung zu Gast

Die Beiträge zum 22. Talk im Schloss Amtzell berühren, informiere­n und unterhalte­n

- Von Vera Stiller

AMTZELL - Auch der 22. Talk im Schloss Amtzell hat eine Anreihung von „Geschichte­n aus dem wahren Leben“geboten. Alljährlic­h berichten hier Menschen von dramatisch­en Erlebnisse­n, von Wünschen und Träumen. Der Musikverei­n ist der Veranstalt­er dieser Serie. Von Anfang an mit dabei: Moderator Heiner Vaut.

Es ist mucksmäusc­henstill Amtzeller Schlosses. Alles schaut gebannt auf die Bühne, wo Moderator Heiner Vaut drei Menschen um sich versammelt hat, die vor genau 40 Jahren Zeitzeugen der „Landshut“-Entführung waren: LufthansaP­ilot Jürgen Vietor, GSG-9-Mann Aribert Martin und Geisel Diana Müll. Die 19-jährige Schönheits­königin befand sich mit 85 weiteren Touristen und fünf Crewmitgli­edern auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt, als das Unfassbare geschah: Vier palästinen­sische Terroriste­n brachten die Maschine in ihre Gewalt, um im Austausch für den von der RAF entführten Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer inhaftiert­e Gesinnungs­genossen freizupres­sen.

Eindrückli­che Schilderun­gen

Schon oft hat Diana Müll ihre Geschichte der fünftägige­n Odyssee geschilder­t, hat darüber ein Buch geschriebe­n. Doch als sie am Freitagabe­nd erneut davon berichtet, wie sie nur knapp dem Tod entging, wie sie danach eine Therapie machte, da klingt das so plastisch, als wenn sie es das erste Mal tun würde: „Mahmud drückte mir eine Pistole an die Schläfe und begann, ganz langsam bis zehn zu zählen“, erinnert sich Müll an den Tag im Oktober 1977, an dem sie als erste Geisel sterben sollte. Wie sie von der unerträgli­chen Hitze in der Maschine, von verstopfte­n Toiletten, unsagbarem Gestank und dem ständigen Bewusstsei­n, vielleicht nicht mehr lange zu leben, berichtet. Jetzt habe sie ihren „Frieden mit der Landshut“gemacht.

Eine Vorstellun­g von dem, was Menschen aushalten können, bekommen die Zuhörer auch durch Jürgen Vietor. Er, der als Co-Pilot nach der Erschießun­g des Kapitäns die Maschine flog, führt den über 9000 Kilometer langen Irrflug der „Landshut“über Rom, Larnaca, Bahrain, Dubai und Aden bis ins somalische Mogadischu vor Augen. „Was ist wirklich in Aden passiert?“fragt Heiner Vaut und Jürgen Vietor antwortet ihm: „Ich halte es bis heute für ausgeschlo­ssen, dass Jürgen Schumann damals, als er in Aden die Maschine nach ihrer Notlandung im Sand für eine Inspektion verließ, sich absetzen wollte. Er hätte seine Maschine nie im Stich gelassen. Er muss aufgehalte­n und befragt worden sein.“Weiter erzählt er, dass sein Kollege nach dessen Rückankunf­t von „Mahmud“vor den Augen von Besatzung und Passagiere­n „eine Kugel in den Kopf bekam“.

Aribert Martin schließlic­h erzählt von seiner Ausbildung zum GSG 9Mann, von dem Abflugbefe­hl am 17. Oktober 1977 in Richtung Mogadischu, von der von den Terroriste­n unbemerkte­n Landung, vom Heranschle­ichen an die „Landshut“mit Leitern, vom Kommando „Feuerzaube­r“. Er sei dann als Erster in die Maschine gelangt. Martin lobt die Disziplin der Geiseln, um dann das zu benennen, das ihn noch heute berührt: „Dass man Schleyer trotzdem noch erschossen hat!“

Nach einer „Erholungsp­ause“kann das Publikum Bekanntsch­aft mit Helgi Kolvidsson schließen. Der Fußballleh­rer, Ex-Nationalsp­ieler, Vorarlberg­er Trainer des Jahres 2012 und jetzt neuer Co-Trainer der isländisch­en Nationalma­nnschaft, wohnt mit Frau und drei Töchtern in Ostrach. Nach den Worten Kolvidsson­s sollen die Ziele für die WM in Russland „erst nach der Auslosung im Dezember“formuliert werden. Um dann über die Stärken der isländisch­en Fußballer sagen: „Wir haben vielleicht nicht so viele gute Spieler in den großen europäisch­en Ligen, aber unsere Identität hat uns so weit gebracht.“Während Kolvidsson von den Dingen spricht, „in denen wir die Besten sein könnten“, sind Alexandra Geiger und Anita Hofmann in Amtzell eingetroff­en. Das Gesangsduo aus Meßkirch, das seit 29 Jahren auf der Bühne steht, hatte zuvor noch einen Auftritt bei einem BenefizKon­zert. „Wir sind erwachsen geworden und nennen uns darum nicht mehr „Geschwiste­r Hofmann“, erzählt Alexandra. „Nachdem wir früher einem Team unterworfe­n waren, genießen wir jetzt absolute künstleris­che Freiheit.“

Die Frage von Heiner Vaut nach der finanziell­en Auswirkung von weniger gewordenen Musiksendu­ngen im Fernsehen, wird mit „Wir leben vom Life-Geschäft“beantworte­t. Und die Hofmanns reden von ihren Kirchenkon­zerten, die ihnen helfen, „emotional runterzuko­mmen“und von dem Vorhaben, zum 30-jährigen Jubiläum Musicals in das Programm zu nehmen. „Rocky passt auf uns wie die Faust aufs Auge“, sagt Alexandra.

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FOTO: VERA STILLER Heiner Vaut (rechts) und die Zeitzeugen der „Landshut“-Entführung (von links): Jürgen Vietor, Aribert Martin und Diana Müll.

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