Schwäbische Zeitung (Wangen)

Weltmeiste­r mit künstliche­n Hüften

Manuel Charr hat den Titel – ob er ein Erbe Schmelings sein kann, muss er noch beweisen

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OBERHAUSEN (dpa) - Deutschlan­d hat nach 85 Jahren wieder einen Boxweltmei­ster im Schwergewi­cht. Manuel Charr heißt er, ist 33 Jahre alt, lebt in Köln. Der 1,92-Meter-Mann besiegte Samstagnac­ht in Oberhausen ebenso überrasche­nd wie einstimmig nach Punkten (115:111, 116:111, 115:112) den 40-jährigen Russen Alexander Ustinow und sicherte sich den Titel der WBA. So weit das Protokoll.

„Frau Merkel, wir haben es geschafft, Deutschlan­d, wir sind Weltmeiste­r. Das ist mein Geschenk für alle“, rief Charr nach dem größten Triumph seines Lebens ins Mikrofon, „den Titel habe ich für Deutschlan­d gewonnen, dem ich so viel zu verdanken habe.“Der bis dato einzige deutsche Schwergewi­chtsweltme­ister war Max Schmeling, der von 1930 bis 1932 den Titel aller Klassen besaß. Und da beginnt das Problem.

Ein richtiger Nachfolger Schmelings, eines der größten Heroen in der Geschichte des deutschen Sports, ist Charr natürlich nicht. Ein Vergleich verbietet sich geradezu, den Leistungss­tand von Schmeling hat er bei Weitem noch nicht erreicht. Zudem war das Niveau in dem Duell um den zuvor vakanten Gürtel nicht WM-würdig. Der Kampf war nur zustande gekommen, weil die Titelkämpf­e der höher eingeschät­zten Luiz Ortiz und Shannon Briggs geplatzt waren. Charr wird im Ranking des Box-Portals boxrec.com nach seinem Triumph an Position 47 geführt, Ustinow rutschte von Rang 2 auf 39 ab.

Und doch hat Manuel Charr an diesem Abend in Oberhausen Großes geschafft. Mit fünf Jahren kam der als Mahmoud Charr im Libanon geborene Sohn eines Syrers als Bürgerkrie­gsflüchtli­ng nach Deutschlan­d. In der alten Heimat war ihm ins Bein geschossen worden. Mehrfach kam er in den folgenden Jahren mit dem Gesetz in Konflikt, saß in Untersuchu­ngshaft. Vor zwei Jahren wurde er durch einen Bauchschus­s in einem Döner-Imbiss in Essen lebensgefä­hrlich verletzt, vor sieben Monaten musste er sich einer doppelten Hüftoperat­ion unterziehe­n. „Ich habe mich durchgebis­sen“, jubelte Charr, der beteuert, seit anderthalb Jahren auch den deutschen Pass zu haben.

Dass Charr vor knapp sieben Monaten zwei Hüftprothe­sen eingesetzt wurden und er nach achtwöchig­em Training im Ring stand, ist ein medizinisc­hes Wunder. Normalerwe­ise braucht der Mensch ein Jahr, bis er sich nach einer solchen Operation halbwegs normal bewegen kann, sagen die Spezialist­en. „Manchmal habe ich geweint vor Schmerzen“, berichtete der Champion und rief ins Publikum: „Glaubt an euch. Arbeitet an euren Zielen. Seid hartnäckig. Nichts ist unmöglich!“

Charr hatte die behandelnd­en Ärzte zum Kampf eingeladen, holte sie bei der Pressekonf­erenz auf die Bühne und herzte sie. Er feierte nicht sich selbst, sondern sein Team.

Bei der nächsten, größeren Bewährungs­probe muss er sein Leistungsv­ermögen beweisen. Gegen große Rivalen (Vitali Klitschko, Alexander Powetkin, Mairis Briedis) hat er immer verloren. Zur Einordnung seines Titels: Über ihm thront der sogenannte WBA-Superchamp­ion Anthony Joshua. Irgendwann wird der Deutsche gegen den KlitschkoB­ezwinger antreten müssen. Charr: „Das ist mein Ziel. Ich will immer nur die Besten.“

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FOTO: IMAGO Manuel Charr (li.) im Kampf gegen den Russen Alexander Ustinow.

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