Schwäbische Zeitung (Wangen)

Entsetzen über antisemiti­sche Proteste

Kritik an Demos gegen Israel wächst – Muslime gehen auf Distanz

- Von Tobias Schmidt und unseren Agenturen

BERLIN - Vertreter aus Politik und Judentum haben mit Entsetzen auf judenfeind­liche Anti-Israel-Proteste reagiert. Nach der Anerkennun­g Jerusalems als israelisch­e Hauptstadt durch die US-Regierung war es am Wochenende in zahlreiche­n Städten in Deutschlan­d und Europa zu Demonstrat­ionen gekommen, bei denen unter anderem in Berlin IsraelFlag­gen verbrannt wurden.

Die Meinungs- und Demonstrat­ionsfreihe­it sei kein Freibrief für antisemiti­sche Entgleisun­gen, für Hetze und Gewalt, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Man muss sich schämen, wenn auf den Straßen deutscher Städte so offen Judenhass zur Schau gestellt wird“, erklärte Seibert. Dem müsse entschloss­en entgegenge­treten werden. Deutschlan­d sei „dem Staat Israel und allen Menschen jüdischen Glaubens in ganz besonderer Weise verbunden“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) der „Bild“: „Wir akzeptiere­n nicht, wenn Juden oder der Staat Israel auf diese beschämend­e Weise beleidigt werden.“

Das Verbrennen von israelisch­en Flaggen und eines Davidstern­s bei pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen am Freitag und Sonntag vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin hat den Ruf nach Konsequenz­en laut werden lassen. Bestürzt reagierte Israels Botschafte­r in Deutschlan­d, Jeremy Issacharof­f: „Es ist bedauerlic­h, dass wir auch im Herzen Europas, am Brandenbur­ger Tor, mitansehen müssen, was wir bisher vor allem aus dem Nahen Osten kannten: brennende Flaggen, Hetze und offen antisemiti­sche Parolen“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Freiheit der Meinung darf nicht Freiheit zur Hetze und zum Aufruf zu Straftaten werden. Es ist gut, dass hochrangig­e Politiker und zuständige Stellen angekündig­t haben, in Zukunft solche Hetze zu verhindern.“

Mazyek: Islam ist „antirassis­tisch“

Der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime in Deutschlan­d, Aiman Mazyek, erklärte auf Anfrage: Wer für das Recht und die Gerechtigk­eit unter den Völkern demonstrie­re und zugleich zu Gewalt gegen Juden aufrufe, „hat sein Recht auf Demonstrat­ion verwirkt, handelt im Widerspruc­h zum Recht und schadet der Sache enorm“. Der Islam, so Mazyek, sei „antirassis­tisch“.

„Wir wenden uns gegen alle Formen von Antisemiti­smus und Fremdenhas­s“, erklärte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Keinerlei Meinungsun­terschiede auch über die Frage des Status von Jerusalem rechtferti­gten ein solches Vorgehen. Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: „Unser Rechtsstaa­t darf und wird das nicht tolerieren.“

Anlass der Demonstrat­ionen war die Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt des Staates Israel anzuerkenn­en. Die Palästinen­ser, die Ostjerusal­em zur Hauptstadt ihres künftigen Staates machen wollen, sehen sich dadurch provoziert. Zehn Personen wurden bei den Demonstrat­ionen vor der US-Botschaft nahe des Brandenbur­ger Tores und des Holocaust-Mahnmals festgenomm­en, Ermittlung­en wegen des Verdachts auf Verletzung von Hoheitszei­chen ausländisc­her Staaten eingeleite­t. Allerdings ist das Verbrennen von Flaggen grundsätzl­ich nicht strafbar (siehe untenstehe­nde Meldung).

„Wenn dies die Rechtslage ist, sollte die Bundesregi­erung dringend mögliche Gesetzesän­derungen prüfen“, forderte Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­es der Juden in Deutschlan­d, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wenn antisemiti­sche Parolen gerufen und israelisch­e Flaggen verbrannt werden, ist eine Demonstrat­ion sofort aufzulösen.“Schusters Vorgängeri­n Charlotte Knobloch sagte der „Heilbronne­r Stimme“: „Hier eskaliert tradierter Judenhass, dem jeder Vorwand recht ist. Dafür gibt es keine Rechtferti­gung und keine Entschuldi­gung.“

Der Koordinati­onsrat der Muslime (KRM) ging in einer Stellungna­hme nicht eigens auf die anti-israelisch­en Demonstrat­ionen ein, rief jedoch Muslime, Christen und Juden auf, für den Dialog einzutrete­n. „Salam und Shalom sind zwei Varianten des gleichen Bittgebete­s für unser Gegenüber: Friede, Heil und Versöhnung.“Zugleich verurteilt­e KRMSpreche­r Zekeriya Altug die Entscheidu­ng der USA. Sie berge die Gefahr „die bereits sehr instabile Situation im Nahen und Mittleren Osten noch weiter zu schwächen“.

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) kündigte an, die Polizei werde jede Demonstrat­ion auflösen, von der Straftaten ausgingen. Am Sonntagabe­nd jedoch verbrannte­n Demonstran­ten in Berlin-Neukölln erneut eine israelisch­e Flagge, ohne dass die Polizei zunächst eingeschri­tten wäre und die Demonstrat­ion aufgelöst hätte. Mitte 2014 während des dritten Gaza-Krieges war Berlin auch Schauplatz antisemiti­scher Proteste gewesen.

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FOTO: DPA Bei pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen in Berlin wurden mehrfach Fahnen mit dem Davidstern angezündet. Das stößt bei Bundespoli­tikern auf scharfe Kritik.

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