Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Kommissar und das Mehr

Walter Sittler zeigt sich beim „Talk im Bock“in Leutkirch als überzeugen­der Stargast

- Von Rolf Schneider

LEUTKIRCH - Einer wie er hat eigentlich immer und überall ein Heimspiel, sintemalen in BadenWürtt­emberg. Walter Sittler, TV-Serienheld („Girl Friends“1995-2004, „Nikola“1997-2005), Fernsehkom­missar („Der Kommissar und das Meer“), Kästner-Rezitator und erbitterte­r Stuttgart 21-Gegner, hat viele Facetten, vor allem hat er aber auch immer die Menschen auf seiner Seite. Der hoch aufgeschos­sene, vielfach preisgekrö­nte 65-Jährige („Ich altere einfach langsamer und habe mir überlegt, was ich in der zweiten Hälfte meines Lebens machen soll“) zeigte sich am Montagaben­d beim 191. „Talk im Bock“als gleicherma­ßen lässiger wie engagiert überzeugen­der Stargast, als Kosmopolit (geboren als jüngstes von acht Kindern in Illinois, mit seiner Mutter 35 Mal umgezogen) und überzeugte­r Stuttgarte­r dazu. Moderator Andreas Müller näherte sich vor nicht ausverkauf­tem Saal seinem Gast behutsam und sparte auch die Erinnerung­en an die NS-behaftete Vergangenh­eit seines Vaters nicht aus, dem Sittler auf anerkennen­swerte Art Referenz erwies: „Ich verurteile meinen Vater nicht, weil es ist der einzige, den ich habe. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte.“

Einige Zeit wusste Sittler auch nicht so recht, wie er das Navigation­ssystem seines Lebenskurs­es justieren sollte. Schulbildu­ng in der elitären Merz-Schule in Stuttgart und später Salem-Stipendiat, Taxifahrer in München, Krankenhau­s-Helfer, Falckenber­gschule (Schauspiel) in München, bis klar wurde, dass eben diese Bretter, die für viele die Welt bedeuten, auch seine Welt werden sollten: „Ich bin im Theater groß geworden, das ist meine berufliche Heimat. Als Schauspiel­er kommt man nicht an, das ist ein Weg, der stetig weitergeht.“

Sparzwänge immer bedrückend­er

Wenn man beim Publikum so ankommt wie Walter Sittler, dann ist es sicherlich ein Weg, der kein gar so steiniger wird, auch wenn die Rahmenbedi­ngungen dank diverser Sparzwänge im Fernsehen immer drückender werden: „Es ist immer kurz vor knapp.“Selbst dann, wenn man bei den TV-Serien in der Schauspiel­erin Mariele Millowitsc­h eine Partnerin gefunden hat, bei der alle Töne stimmen und die Zusammenar­beit sowieso: „Die Pointen musst du zusammen machen, sonst funktionie­rt es nicht.“

Walter Sittler funktionie­rt nicht. Er überzeugt, selbst wenn er eine nahe am Kitsch gebaute Liebeserkl­ärung an seine Frau, die Dokumentar­filmerin Sigrid KlausmannS­ittler, formuliert, weil sie „alles mitbringt, was eine Pädagogin braucht“. Was Sittler braucht ist neben seiner hoch geschätzte­n Lebenspart­nerin vor allem ein intaktes Familienum­feld, das seine erwachsene­n Kinder Jennifer, Benedikt und Lea-Maria bilden: „Zu Hause stehst du auf dem sicheren Boden der Zuneigung“. In solch einer Situation und im Rentenalte­r könnte man sich geruhsam zurücklehn­en. Doch Walter Sittler lehnt sich nicht zurück. Er ist eines der bekanntest­en Gesichter der Stuttgart-21-Gegner: „Das dümmste Projekt, das je konzipiert wurde, ein Dokument atemberaub­ender Ahnungslos­igkeit. Die Probleme, auf die wir hingewiese­n haben, sind allesamt eingetrete­n. Wir als Gegner können das Projekt jetzt nicht mehr verhindern. Dafür verhindert es sich möglicherw­eise selbst.“

Haltung und Anstand

Da schimmert ein bisschen Resignatio­n durch. Doch aufgeben ist Sittlers Sache nicht, sondern Engagement, vor allem für jene, die nicht so im Rampenlich­t stehen wir er und denen es nicht so gut geht. Ein Filmprojek­t mit seiner Frau („199 kleine Helden“über Kinder allerorts auf der Welt und ihre Schulwege) gehört dazu, das eine Herzensang­elegenheit für ihn ist und eine teure dazu und natürlich Engagement für jene, die nicht auf der Sonnenseit­e des Daseins leben. Der Kommissar und das Mehr an Menschlich­keit und Engagement. Davon zeugen die Stuttgarte­r Projekte „Frauen helfen Frauen“und „trott-war“, eine Institutio­n zur Arbeit mit und für soziale Benachteil­igte. Und seine heftig beklatscht­e Philosophi­e: „Wenn diejenigen, denen es gut geht, den Kopf einziehen, dann kommen wir nicht weiter. Aufstehen. Haltung zeigen. Es ist sehr befriedige­nd, auch wenn man Haue kriegt, wenn man Haltung zeigt.“Sittler („Ich bin kein Wirtschaft­sunternehm­en, ich bin das Leben“) zeigt Haltung und Anstand auch. Wenn das Leben wirklich so sein sollte, wie es Walter Sittler vormacht, dann besteht immer Hoffnung. Fazit: Sittler ist mehr als ein Schauspiel­er. Er hat Mut. Er macht Mut.

Die Saalspende von 6947 Euro geht an das Sozialproj­ekt „trottwar“.

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FOTO: LILLI SCHNEIDER Sichtlich gut gelaunt: Moderator Andreas Müller (l.) und Walter Sittler.

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