Schwäbische Zeitung (Wangen)

May fährt geschwächt nach Brüssel

Niederlage für Premiermin­isterin: Unterhaus will bei Brexit-Verhandlun­gen mehr mitreden

- Von Sebastian Borger

LONDON - Die erste Brexit-Abstimmung­sniederlag­e für Premiermin­isterin Theresa May im Unterhaus hat am Donnerstag zu scharfen Auseinande­rsetzungen innerhalb der konservati­ven Regierungs­partei geführt. Während die elf Rebellen ihre Entscheidu­ng mit dem Wohl des Landes begründete­n, wurden sie von BrexitHard­linern als „Verräter“denunziert.

Die Regierungs­chefin reiste am Nachmittag nach Brüssel, um beim EU-Gipfel den übrigen 27 Staats- und Regierungs­chefs das 15-seitige Papier zu erläutern, auf das sich May mit EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker geeinigt hatte. Es macht den Weg frei zu Verhandlun­gen über eine zweijährig­e Übergangsp­hase und die künftigen Beziehunge­n zwischen Insel und Kontinent nach dem Austritt Ende März 2019.

Über das Ergebnis dieser Verhandlun­gen will das Parlament zu einem Zeitpunkt – wohl Ende 2018 – abstimmen, der das Votum „aussagekrä­ftig“macht: Darum drehte sich die Debatte am Mittwoch. Die Regierung hatte zwar nach Drängen eine Abstimmung zugesagt, dieser aber keine Bindewirku­ng zubilligen wollen: Schließlic­h könne es sein, dass eine Einigung mit Brüssel erst in letzter Minute zustande komme und man den Deal dann sofort umsetzen müsse.

Mehrheit für Grieve-Klausel

Dagegen wehrte sich der hochangese­hene frühere Generalsta­atsanwalt Dominic Grieve, ein Konservati­ver, mit Unterstütz­ung des ehemaligen Justizmini­sters Kenneth Clarke sowie weiteren sechs früheren Regierungs­mitglieder­n. Zugunsten des Brexit sei mit dem Argument geworben worden, man wolle die Souveränit­ät des britischen Parlaments wieder herstellen, argumentie­rte Grieve. „Genau das streben wir an.“Seine Ergänzung des Austrittsg­esetzes der Regierung fand eine Mehrheit von 309:305 Stimmen. Neben elf Konservati­ven stimmten auch die meisten Labour-Mandate sowie die liberaldem­okratische Fraktion und die schottisch­en und walisische­n Nationalis­ten für die Grieve-Klausel.

Die Empörung der Brexit-Hardliner richtete sich gegen die elf Rebellen. Die „Verräter“sollten für die nächste Legislatur­periode nicht mehr aufgestell­t werden, forderte die ToryAbgeor­dnete Nadine Dorries. Allerdings wiesen Opposition­spolitiker darauf hin, dass Dorries ebenso wie viele andere der ideologisc­hen EUFeinde seit Jahren immer wieder gegen Vorlagen der eigenen Regierung gestimmt hatte.

Besonnene Torys riefen zur Mäßigung auf. Er selbst habe der Regierungs­vorlage zugestimmt, erläuterte der EU-freundlich­e Abgeordnet­e Nick Boles. „Aber ich respektier­e die Haltung der Rebellen und verurteile die Verratsvor­würfe.“

Da die Abstimmung relativ früh im Gesetzgebu­ngsverfahr­en stattfand, hat die Regierung die Möglichkei­t, im neuen Jahr das Ergebnis umzukehren. Davor warnte Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer und forderte Brexit-Minister David Davis dazu auf, einen Paragraphe­n zurückzuzi­ehen, der kommende Woche zur Diskussion steht. Damit will die Regierung das Austrittsd­atum 29. März 2019 gesetzlich verankern; die Opposition argumentie­rt, man solle sich Flexibilit­ät bewahren, falls es Verhandlun­gsschwieri­gkeiten gibt. lassen. Darin bezeichnet­e der Ratspräsid­ent verbindlic­he Quoten zur Verteilung von Flüchtling­en als unwirksame­s und die EU spaltendes Mittel. Mehrere osteuropäi­sche Regierungs­chefs bedankten sich bei Tusk für sein Verständni­s, darunter auch der neue polnische Premier Mateusz Morawiecki. „Ich bin zufrieden, dass dieser Ansatz mehr und mehr in Brüssel gehört wird.“Und Tschechien­s neuer Regierungs­chef Andrej Babis sagte: „Herr Tusk sagt, was wir denken, nämlich dass Quoten nicht die Lösung sind. Wir müssen gegen die Schleuserm­afia kämpfen, die diese unglücklic­hen Menschen nach Europa bringt und ihnen das bessere Leben verspricht, das sie hier nicht haben werden.“

Luxemburgs Regierungs­chef Xavier Bettel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron äußerten vorsichtig­e Kritik an dieser Haltung. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wurde deutlicher: „Wir brauchen nicht nur Solidaritä­t an den Außengrenz­en, sondern auch nach innen“, sagte sie zu Gipfelbegi­nn. Das Dublinsyst­em, das einen Flüchtling dem Land zuweist, wo er zuerst europäisch­en Boden betritt, funktionie­re überhaupt nicht.

Die EU-Innenminis­ter hatten im September 2015 auf Vorschlag der EU-Kommission in einer Mehrheitse­ntscheidun­g beschlosse­n, 120 000 Asylbewerb­er aus Griechenla­nd und Italien auf andere EU-Staaten umzuvertei­len. Ungarn hätte 1294, die Slowakei 902 Flüchtling­e aufnehmen müssen. Beide Länder weigerten sich aber und riefen stattdesse­n den Europäisch­en Gerichtsho­f EuGH an. Der bestätigte Anfang September den Innenminis­terbeschlu­ss. Vergangene Woche nun reichte die EUKommissi­on ihrerseits Klage vor dem EuGH ein, da die beiden Länder weiterhin nicht einlenken.

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