Schwäbische Zeitung (Wangen)

Künftige Regierung in Wien beschneide­t Nichtrauch­erschutz

- Von Rudolf Gruber, Wien

Zwei Monate nach der Parlaments­wahl in Österreich stehen die Koalitions­verhandlun­gen zwischen der konservati­ven ÖVP und der rechtspopu­listischen FPÖ kurz vor dem Abschluss. „Wir sind in der Zielgerade­n“, sagte ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Österreich­ischen Medienberi­chten zufolge könnte das Bündnis am Samstag beschlosse­n werden. Mit 31 Jahren würde Kurz Europas jüngster Regierungs­chef, FPÖChef Heinz-Christian Strache Vizekanzle­r.

Zuletzt hatte die geplante Aufhebung des generellen Rauchverbo­ts in der Gastronomi­e einen Massenstur­m gegen die neue schwarz-blaue Regierung ausgelöst, noch ehe sie im Amt ist. So hatte es sich das neue Regierungs­duo, das vollmundig mehr direkte Demokratie verspricht, wohl nicht vorgestell­t: Gleich die erste Volksabsti­mmung, sollte sie stattfinde­n, könnte Kurz und Strache auf die Füße fallen.

Letzten Montag hatten beide Partner bei den Koalitions­verhandlun­gen vereinbart, das 2015 beschlosse­ne Gesetz über ein generelles Rauchverbo­t in öffentlich­en Lokalen wieder zu kippen. Nunmehr wird es im Mai 2018 stark aufgeweich­t respektive in der bisherigen Übergangsl­ösung in Kraft treten. Demnach blieben Raucherzon­en in Lokalen weiterhin erlaubt, für Jugendlich­e unter 18 Jahren werden die Schutzbest­immungen verschärft. Österreich wäre damit in der EU so ziemlich das letzte Raucherpar­adies.

Ein Sturm von Kritik und Entrüstung aus breiten Teilen der Bevölkerun­g, von Ärzten und politische­n Gegnern ist die Folge. In nur drei Tagen haben mehr als 260 000 Österreich­er eine Onlinepeti­tion der Österreich­ischen Krebshilfe für das Nichtrauch­erschutzge­setz unterzeich­net. Das sind mehr als vier Prozent der Stimmberec­htigten. Damit wäre die Voraussetz­ung für eine verbindlic­h geltende Volksabsti­mmung bereits erfüllt, wie sie Straches FPÖ fordert. Die Koalitions­partner sind sich darüber noch nicht einig, die ÖVP setzt die Grenze mit zehn Prozent höher an.

Kurz wird Kuhhandel vorgeworfe­n

Doch die Nichtrauch­erbewegung wird weiterhin den Druck für ein Referendum oder zumindest ein Volksbegeh­ren in dieser Frage verstärken. Kurz und Strache könnten letztlich als Verfechter der direkten Demokratie schwerlich dagegen sein. Die FPÖ hat das Rauchverbo­t in der Gastronomi­e als einzige Partei Österreich­s von Anfang an bekämpft. Umfragen bestätigen, dass die Mehrheit ihrer Wähler, überwiegen­d Männer, strikt dagegen ist. Strache ist in dieser Hinsicht ihr umstritten­es Vorbild: Der 48-Jährige raucht selber gern, während Kurz Nichtrauch­er ist.

Der Kanzler in spe sei vor Strache in die Knie gegangen, sind politische Gegner überzeugt. Auch innerhalb der eigenen Partei wird Kurz kritisiert: Ein Gesetz zu kippen, das die ÖVP mitbeschlo­ssen hat, sei unglaubwür­dig, heißt es. Dem Vernehmen nach habe Kurz das Rauchverbo­t geopfert, um von der FPÖ auf anderen Feldern Zugeständn­isse zu bekommen, etwa in der Europapoli­tik. Für diesen Kuhhandel wird Kurz von Ärzten und Gesundheit­sexperten zum Teil heftig attackiert. Die Ärztekamme­r kritisiert die Ignoranz wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se, etwa dass regelmäßig­er Tabakkonsu­m 90 Prozent der Krebskrank­heiten verursache. In Österreich sterben daran jährlich 13 000 Menschen.

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