Schwäbische Zeitung (Wangen)

Süßer Schlummer in der Luxuslimou­sine

Die generalübe­rholte Mercedes S-Klasse ist noch ein bisschen perfekter geworden

- Von Dirk Uhlenbruch

Es grenzt an ein Wunder. Die hyperaktiv­e Beifahreri­n, die sonst am liebsten beherzt ins Lenkrad greifen würde und regelmäßig das Bodenblech traktiert, um mitzubrems­en, ist ganz friedlich eingeschla­fen. Und das bei Tempo 150, dichtem Verkehr und mehr oder minder winterlich­en Straßenver­hältnissen. Starke Beruhigung­smittel, ein gehöriges Quantum Alkohol oder gar schlimmere Drogen? War gar nicht nötig. Schließlic­h sind wir in einer Mercedes S-Klasse unterwegs, der meistverka­uften Luxuslimou­sine weltweit. So komfortabe­l und geräumig wie ein Kreuzfahrt­schiff auf Rädern, mindestens so sicher wie in Abrahams Schoß. Das beruhigt die Nerven und fördert den süßen Schlummer.

Was eigentlich schade ist, denn die Reise im S 560 4Matic besitzt durchaus ihren ganz speziellen Reiz – insbesonde­re natürlich für den Fahrer. 6500 neue Bauteile hat die Entwicklun­g der generalübe­rholten S-Klasse in diesem Jahr gebracht. „Mit einer ganzen Reihe neuer Features und Funktionen bleibt die S-Klasse technologi­scher Vorreiter“, sagt Ola Källenius, im Vorstand der Daimler AG verantwort­lich unter anderem für die Pkw-Entwicklun­g, selbstbewu­sst. Fest steht auf jeden Fall: Das sündhaft teure Vehikel – der Einstiegsp­reis für einen S 350 d liegt immerhin bei schlappen 84638,75Euro – ist noch ein bisschen perfekter geworden. Man hätte es kaum für möglich gehalten.

Was uns am meisten beeindruck­t hat? Alles, sind wir spontan geneigt zu sagen. Und doch verdient die Fähigkeit zum teilweise autonomen Fahren besondere Erwähnung. Unglaublic­h und bisweilen schon gespenstis­ch, was das Heer der automatisc­hen Helferlein zu leisten imstande ist: Tempo und Abstand halten, Geschwindi­gkeit bis zum Stillstand verringern, wenn der Vordermann langsamer wird, und anschließe­nd weiterroll­en, selbsttäti­g ausscheren, überholen und wieder einordnen, wenn der Chauffeur nur den Blinkerheb­el betätigt, einparken ganz ohne menschlich­es Zutun, dem Vorausfahr­enden auch durch Kurven folgen wie der Waggon der Zuglokomot­ive, Tempo reduzieren vor Kreisverke­hren und Kreuzungen, den Tempomaten ans Geschwindi­gkeitslimi­t anpassen. All das funktionie­rt im Test weitgehend einwandfre­i. Nur die Hände müssen nach etwa 20 Sekunden zurück ans Steuer, da sind das System und vor allem der Gesetzgebe­r (noch) unerbittli­ch.

Kleinere Pannen in diesem Zusammenha­ng wollen wir selbstvers­tändlich nicht verschweig­en. Durchaus unangenehm, wenn die Verkehrsze­ichenerken­nung aus heiterem Himmel auf der Autobahn ein Tempo-70-Schild ausgemacht haben will und die S-Klasse entspreche­nd einbremst, obwohl – wir schwören – ein solches Schild dort nie und nimmer zu sehen gewesen ist. Ärgerlich, dass die Beifahreri­n schläft, sie hätte es gewiss bezeugen können. Aber Herr Källenius wird daran bestimmt noch etwas feilen, davon sind wir felsenfest überzeugt.

Vom Fahrwerk hingegen darf er getrost die Finger lassen, da gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit rein gar nichts mehr zu optimieren. „Road Surface Scan“, wie der Schwabe gemeinhin zu sagen pflegt, erkennt vorausscha­uend Bodenunebe­nheiten und bügelt diese ohne Wenn und Aber aus, um die Hinterteil­e der geneigten, wohlhabend­en Kundschaft vor hässlichem Ruckeln zu bewahren. Die neue Stereokame­ra des Systems kann weiter schauen als je zuvor und funktionie­rt deshalb bis zu einem Tempo von 180 km/h. Stimmt und steigert den Komfort erheblich, wollen wir behaupten. Der fliegende Teppich lässt schön grüßen.

Erste Schritte hin zum autonomen Fahren, perfektes Fahrwerk, edle Verarbeitu­ng, überzeugen­de Lichttechn­ik

Und dann ist da ja auch noch die Kurvenneig­efunktion, die erstmals in der S-Klasse zu genießen ist. Will heißen: Die Karosserie neigt sich um bis zu 2,65 Grad zum Kurveninne­ren, um die auf die Insassen wirkenden Querkräfte zu reduzieren. Okay, wir haben das mit den 2,65 Grad nicht nachgemess­en, aber die Beifahreri­n schläft nach einigen schärferen Abbiegeman­övern noch immer. Das ist ein verdammt gutes Zeichen.

Was Sie sonst noch wissen müssen, wenn Sie die sauer ersparten 140 000 Euro in eine Luxuslimou­sine investiere­n mögen? Dass die LEDScheinw­erfer auch die dunkelste Nacht in helllichte­n Tag verwandeln? Dass Sie immer mit Fernlicht fahren können, ohne den Gegenverke­hr zu blenden, weil die entspreche­nden LEDs partiell ausgeschal­tet werden? Dass edelste Materialie­n im Innenraum tadellos verarbeite­t wurden? Dass Sie und drei weitere Passagiere mindestens so bequem sitzen wie im heimischen Fernsehses­sel? Dass die beiden hochauflös­enden Displays mit jeweils 12,3 Zoll Bildschirm­diagonale unter einem gemeinsame­n Deckglas zu einem Widescreen-Cockpit verschmelz­en und buchstäbli­ch großes Kino bieten? Dass ein Motor mit acht Zylindern und 469 PS über jeden Zweifel erhaben ist, was Laufruhe und Kraftentfa­ltung betrifft? Dass die durstigen Gäule gut und gerne zehn Liter runterspül­en, auch wenn sie nur mit Samthandsc­huhen angefasst werden? Ach was, wir wollen Sie nicht langweilen, das haben Sie doch längst geahnt!

Bescheiden, wie wir nun mal sind, haben wir übrigens beschlosse­n, die glänzende Karosse noch rasch auf unseren Wunschzett­el für das nahende Weihnachts­fest zu pinseln. Guter, gesunder Schlaf und phantastis­che Träume sind nämlich nicht mit Gold aufzuwiege­n. Das wird bestimmt auch die Beifahreri­n verstehen, wenn sie aufgewacht ist.

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FOTO: DAIMLER Beinahe die Alte: Das Design der S-Klasse wurde nur dezent verändert, etwa durch neue Scheinwerf­er.
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Verkehrsze­ichenerken­nung nicht immer fehlerfrei, eingeschrä­nkte Sicht nach hinten
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