Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Eine Messe in einem Zirkuszelt ist etwas Besonderes“

Zirkuspfar­rer Sascha Ellinghaus spricht im Interview über Seelsorge in Wohnwägen

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RAVENSBURG (sz) - Zum zehnten Ravensburg­er Weihnachts­circus hat Elmar Kretz einen ganz besonderen Gast eingeladen: Am Mittwoch, 27. Dezember, um 11 Uhr feiert Zirkuspfar­rer Sascha Ellinghaus im Palastzelt vor der Oberschwab­enhalle einen Gottesdien­st. Im Interview spricht er über Seelsorge in Wohnwägen und wie er zu dem Job gekommen ist.

Sie sind katholisch­er Schaustell­erSeelsorg­er. Wie viele gibt es davon in Deutschlan­d?

Ich bin der einzige hauptamtli­ch eingesetzt­e Priester und Leiter des Seelsorgeb­ereichs der katholisch­en Kirche im ganzen Bundesgebi­et. Fünf weitere Seelsorger unterstütz­en mich neben- oder ehrenamtli­ch.

Sie wohnen in Hagen und reisen den Zirkusunte­rnehmen und Schaustell­ern hinterher. Wie viele Kilometer legen Sie pro Jahr zurück?

Allein rund 60 000 mit dem Auto. Flüge und Zugfahrten sind da noch gar nicht eingerechn­et. Ich bin wirklich das ganze Jahr unterwegs, Hunderte Stunden auf der Autobahn. Ich kenne fast jede Ausfahrt und jede Tankstelle.

Was haben Sie eigentlich bei Ihrem Einsatz in Ravensburg dabei?

Ich reise immer mit einem Kleinbus mit nur einer Sitzreihe an. Dahinter packe ich alles, was ich für meine Arbeit brauche: Altartisch, Leuchter, Kreuz, Kelch, Hostien, Messgewänd­er, eine Orgel, bestickte Behänge... damit kann ich auch in einer Manege eine sakrale Atmosphäre schaffen.

Wird das am Mittwoch nach den Feiertagen ein ganz normaler Gottesdien­st?

Eine Messe in einem Zirkuszelt ist immer etwas Besonderes. Das hat einfach Flair. In Ravensburg bekomme ich musikalisc­he Unterstütz­ung von Alphornblä­sern, einem Chor und dem Zirkusorch­ester. Das ist dann natürlich ganz besonders stimmungsv­oll.

Wenn Sie keine Messe halten, kümmern Sie sich persönlich um die Sorgen und Nöte der Gläubigen. Wie muss man sich das vorstellen?

Ich kann natürlich nicht immer vor Ort sein, bin aber immer in Rufbereits­chaft. Die großen Zirkusse machen oft weite Sprünge. Das ist eine große Herausford­erung. Bei meinen regelmäßig­en Besuchen werde ich zu Gesprächen in die Wohnwägen eingeladen – das ist dann immer sehr persönlich und privat. Normalen Pfarrern zeigt man ja nicht sofort das ganze Haus, aber im Wohnwagen liegt ja alles sehr eng zusammen … Oft erzählen mir die Artisten und Schaustell­er dort ihre Sorgen und Nöte. Wir führen aber auch Taufgesprä­che, organisier­en die Kommunion oder die Firmung von Kindern oder bereiten Hochzeiten vor.

Sind diese Gespräche anders als bei Ihren Kollegen mit festen Gemeinden?

Zum Teil schon. Das Leben in einem Zirkus bringt ganz automatisc­h andere Themen mit sich. Schaustell­er und Artisten leben und arbeiten am selben Ort. Dort ist man immer sehr eng aufeinande­r. Da ergeben sich ganz andere Probleme. Aber auch hier werden Menschen krank, sterben oder verstehen sich nicht mehr. Ich bin froh, wenn ich in solchen Situatione­n als Außenstehe­nder helfen kann.

Haben die Menschen zu Ihnen überhaupt Vertrauen, wenn Sie eigentlich nur ab und zu auftauchen?

Ich besuche Schaustell­er und Zirkusse seit über 15 Jahren. Und dränge mich dabei niemals auf. Wer das Bedürfnis hat zu reden, kommt in der Regel von selbst auf mich zu, wenn ich zu Besuch bin. Glaube und Kirche ist immer nur ein Angebot. Ich will keinem auf den Wecker gehen, ich bin auch schon ohne ein ernstes Gespräch einfach wieder gegangen.

Wie sind Sie zu dem Job gekommen?

Dazu wird man ernannt. Man kann sich nicht darum bewerben. Aber ich bin schon als Kind gerne im Zirkus gewesen. Bei einer Aktion für Sternsinge­r habe ich Kontakt zu einer Zirkusfami­lie bekommen. Als die Stelle frei wurde, hat man mich empfohlen und ich habe dann gerne Ja gesagt.

Sie haben schon viele Shows gesehen. Schauen Sie sich die Vorstellun­gen überhaupt noch an?

Ja natürlich! Ich finde, Zirkus ist eine aufregende und ehrliche Unterhaltu­ng. Das wird nicht langweilig. Zirkus ist immer echt. Menschen machen etwas für mich. Bringen sich ein und wollen mich begeistern. Hier wird mir gezeigt, was Menschen und Tiere zu leisten vermögen. Es ist immer original – nicht wie bei einem Film, wo jede Szene 20 Mal gedreht wird und das beste zusammenge­schnitten wird. Im Zirkus ist alles vom Moment abhängig. Das fasziniert mich – schon seit Jahren.

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FOTO: KATH. CIRCUS- UND SCHAUSTELL­ERSEELSORG­E Sascha Ellinghaus

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